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Dokumentarfilm über die Geschichte der Frauen in der Bonner Republik. Ihre Beteiligung an den demokratischen Prozessen in der noch jungen Bundesrepublik mussten sie sich hart erkämpfen, saßen an den Schalthebeln der Macht doch überwiegend grenzenlos von sich überzeugte, von Macht und Erfolg besessene Männer. Als Frau in diesen Kreisen gehört zu werden, erforderte enorme Zähigkeit und Unerschrockenheit. Aus zahlreichen Archivaufnahmen sowie Interviews mit Politikerinnen von damals über ihre oft bitteren, manchmal absurden Erfahrungen entsteht eine bewegende Chronik westdeutscher Politik von den 1950er Jahren bis zur Wiedervereinigung.
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Obwohl Frauen mehr als die Hälfte der Wählerschaft bildeten, waren die von der Teilhabe an der Politik bis Ende der Fünfziger Jahre weitgehend ausgeschlossen. Erst 1961 holte Konrad Adenauer mit der Gesundheitsministerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) die erste Frau in sein Kabinett. Vom „Alten“ ist dazu dieser Ausspruch überliefert: „In diesem Kreis sind auch Sie ein Herr.“ Kein Wunder in Zeiten, wo der Ehegatte noch seine Zustimmung geben musste zur Berufstätigkeit seiner Frau, und Parlamentsjournalisten ernsthaft Politikerinnen wie Waltraud Schoppe von den Grünen fragten, warum ihre Fraktion den Busengrapscher Klaus Hecke wegen sexueller Belästigung ausgeschlossen hat: „Glauben Sie nicht, es wäre besser gewesen, sowas zwischenmenschlich zu regeln und nicht gleich die politische Keile zu schwingen?“
Auszüge aus Bonner Bundestagsdebatten etwa über den Abtreibungs-Paragraphen 218 oder den Nato-Doppelbeschluss offenbaren eine geradezu frauenfeindliche Atmosphäre quer durch alle Fraktionen. Als die Grünen 1984 den Fraktionsvorsitz ausschließlich mit Frauen besetzen, um so ein Zeichen zu setzen, zeigen nicht nur Politiker der etablierten Parteien, sondern auch Journalisten wie der TV-Star Friedrich Nowottny völliges Unverständnis, der von „Hauruck-Verfahren“ und „brutalem Zugriff“ des Trios Schoppe, Antje Vollmer und Christa Nickels sprach. Als Helmut Kohl 1985 mit Prof. Rita Süssmuth eine Quereinsteigerin als zweite Frau ins Kabinett holt, ahnt er nicht, welches Kaliber er bald neben sich auf der Regierungsbank haben wird.
Bis auf eine altersbedingte Ausnahme, die 94-jährige Marie-Elisabeth Klee, die älteste noch lebende Parlamentarierin der Bundesrepublik und erfolgreiche Strippenzieherin der CDU-Frauen, wurde in der Nähe von Worms befragt, drehten Torsten Körners Kameraleute Johannes Imdahl und Claire Jahn, beides Absolventen der FH Dortmund, die Gespräche mit den Zeitzeugen für die knapp einhundertminütige Doku zwischen 2015 und 2020 in den historischen Räumlichkeiten der Bonner Republik, darunter im Weltsaal des Außenministeriums, im Bundesratssaal, im „Langer Eugen“ genannten Abgeordneten-Hochhaus, im Rheinhotel Dreesen, im Kanzleramt der Bauhaus-Moderne mit Henry Moores Plastik im Garten und in der altehrwürdigen Villa Hammerschmidt, dem Sitz des Bundespräsidenten.
Herausragend der schlagfertige Witz der beiden ersten Bundesministerinnen, Elisabeth Schwarzhaupt und Aenne Brauksiepe. Die als CDU-Politikerinnen kein Blatt vor den Mund nehmen gerade auch was die Männerbünde in den Unionsparteien betrifft. Unter den Archivaufnahmen sticht eine mit 1:30 Minuten so kurze wie knackige Tagesschau-Interviewszene von 1958 mit Marie-Elisabeth Lüders hervor, in der die FDP-Abgeordnete das Machogehabe des Fernsehreporters kühl als solches entlarvt. Berührend die Rehabilitation der stets unterschätzten, gar von den Medien als kleinbürgerlich dargestellten, in Wirklichkeit aber umfassend gebildeten und weltgewandten Kanzlergattin Hannelore Kohl, die bei Staatsempfängen in fließendem Englisch und Französisch brillierte. Ihr tragischer Tod ist skandalöserweise später in Berlin zum Thema satirischer Machwerke geworden, um Helmut Kohl zu treffen. Am Ende stehen die Worte des sozialdemokratischen Brioni-Kanzlers Gerhard Schröder in der TV-„Elefantenrunde“ am Tag der Bundestagswahl 2005: „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen.“
Torsten Körners Film, der in seiner Lebendigkeit, in seiner unmittelbaren Geschichts-Vermittlung einzigartig ist und in allen Schulen gezeigt werden sollte, hat eine innere Dramaturgie, die bereits im Prolog beginnt. Herbert von Karajan am Pult der „Berliner“, dazu Konrad Adenauer mit seiner autoritären Zeigefinger-Rhetorik, ein erregter Erich Mende am Pult, der ruhig-gelassene Walter Scheel und der bullige, stets schwitzende Franz-Josef Strauß im Parlament. Dazu Aufnahmen vom Rhein, von den Regierungsgebäuden und dem Plenarsaal im einstigen Wasserwerk, historische Schwarzweiß-Einspieler. Etwa von Hildegard Hamm-Brüchers vergeblichen Kampf gegen den Koalitionswechsel ihrer bisher sozialliberalen FDP zu Helmut Kohls CDU mitten in der Legislaturperiode. Aber auch ein emotionaler Otto Schily, der bei der Debatte um die so umstrittene wie notwendige Wehrmachtsausstellung in großer Offenheit über das Verhältnis zu seinem Vater spricht. Von Schwarz-Weiß-Malerei ist Torsten Köhler weit entfernt, obwohl nur die in jeder Hinsicht erhellenden Gespräche mit den erfrischend alterslosen Zeitzeuginnen in Farbe gedreht worden sind.
„Gute Editoren“, stellt Körner heraus, „sind Autoren“: Starke Frauen, so die Botschaft des von Sandra Brandl geschnittenen Films, hat es in der deutschen Politik stets gegeben, nur bei den Straßennamen im Bonner Regierungsviertel taucht keine von ihnen auf. Die so klug wie unterhaltsam montierte Dokumentation „Die Unbeugsamen“ thematisiert vor allem die Rolle der Frau in Politik und Gesellschaft – vom noch aus der Weimarer Republik stammenden Kabarettsong „Raus mit den Männern aus dem Reichstag...“ bis hin zur aktuellen Entwicklung, dass erstmals seit zwanzig Jahren der Frauenanteil im Bundestag zurückgegangen ist und nur noch 31 Prozent beträgt. Den musikalischen Schlusspunkt setzt Mirga Grazinyte-Tyla am Pult des City of Birmingham Symphony Orchestra mit Beethovens Leonoren-Ouvertüre. „Der demokratische Chor ist nicht vollständig“, so der 1965 in Oldenburg geborene und seit geraumer Zeit in Berlin lebende Filmemacher, Buch- und Hörspiel-Autor Torsten Körner, „wenn der Sound der Republik immer nur männlich klingt.“
Pitt Herrmann