Hamlet
Asta Nielsen – Prinz von Dänemark (Drehbericht)
Martin Proskauer, Film-Kurier, Nr. 166, 30.7.1920
Ich war gestern vier Stunden im Johannisthaler Atelier und habe zugesehen, wie Asta Nielsen spielt. Das war ein großer künstlerischer Genuß, und ein ganz seltener noch dazu, denn noch nie habe ich eine Filmdarstellerin so spielen sehen. Seit langem schon halte ich Asta Nielsen für unsern ersten Filmstern, und diese Meinung hat sich gestern von neuem bestätigt. Ich glaube fast, daß der Film alle Feinheiten, das leise Zucken des Mundes, das Flattern der hochgeworfenen Hände nicht so wiedergeben kann, wie es meine Augen sahen. Kann es der Film doch, so wird er bestimmt ein großer Erfolg, schon weil die Nielsen darin spielt.
Sie ist Hamlet, Prinz von Dänemark. (...) Ich sah die Szene des jungen Prinzen Hamlet in der Schule. Die Schulgefährten kommen, gehen an ihre Plätze, teils brav spielend, teils im Statisten-Übereifer zu derb auftragend. Dann kommt die Nielsen. Ganz in schwarz, die schlanken Beine im glatten Trikot, ein kleines Mäntelchen über den Schultern hängend springt sie in ihren Platz. Sie schlendert einen Schritt, wirft die Bücher hin – sie ist ein unerhört schlanker Knabe, ein ganz junger, sorgenloser, froher Mensch.
Ich stehe dabei, eingequetscht zwischen den Jupiterlampen, und bin ganz vom Spiel dieses Knaben-Prinzen eingefangen. Asta Nielsen legt ein Bein übers andere, gelangweilt hängt ihre Hand über die Knie – so und nur so sieht ein Prinz aus, der nicht lernen mag. (...)
Was an Frau Asta Nielsen so reizvoll ist, kann man schwer sagen. Sie ist überschlank, es tat mir leid, sie mit Eisenhelm und schwerem Schwert stehen zu sehen, sie ist ganz schmucklos schwarz, sie agiert nicht, sie spricht nur, wenn sie muß – und doch gehört die Szene ihr, wenn sie spielt – nicht nur, weil sie der Filmstern ist, nein, weil sie die größte Könnerin ist. Diese Frau könnte spielen, was sie wollte, es würde lohnen, hinzugehen.
Mir fällt ein, daß ich sie vor Jahren in einem Lustspiel sah "Das Eskimobaby". Da war sie ein aus Eismeergegenden in die Kultur geratenens Eskimofräulein. Das war so lustig, so voller Pointen, und graziösen Witzes – nicht das Stück, das war schwach – aber ihr Spiel.
Ich erinnere Frau Nielsen daran. "Ja", sagt sie, "ich weiß wohl. Ich habe mit viel Vergnügen gespielt, denn es macht viel Spaß, etwas Lustiges zu spielen. Ich würde es auch jetzt gern spielen, aber es lohnt der Mühe nicht."
Beim Plaudern betrachte ich sie in der Nähe. Das Gesicht dieser Frau ist charaktervoll in jedem Zug. Diese Augen leben, dieser Mund gehorcht im Ausdruck wie ein edles Tier dem, der es meistert. Und die Hände. Ich habe mit Frau Nielsen nicht darüber gesprochen, aber sie weiß sicherlich, daß beim Spiel (noch dazu beim stummen) die Hände den halben Ausdruck und mehr ersetzen. Die Hände dieser Frau sprechen für sich und für sie: kräftig, schlank, in jeder Sehne ausgearbeitet, mit gut angesetzten geraden Fingern, sind sie wie ein wundervolles Instrument. Dabei sind die Hände von Nervosität durchbebt, der eigenen Kraft bewußt. – –
Eine neue Szene ist bis zur Probe fertig. Frau Nielsen geht zum Umkleiden, man probt ohne sie. Sie probt nicht mit; nur einmal arbeitet sie, mehr für den Regisseur und die Mitspieler als für sich, die Rolle des Augenblicks durch, das genügt. (...)