Nachmittag
Nachmittag
Von Birgit Glombitza, epd Film, Nr. 10, 2007
Sie haben die Stadt durchstreift, ihren Rhythmus studiert, den urbanen Alltag auf den Objektträger ihrer neugierig forschenden, distanzierten Kamera gelegt. Jetzt aber scheint es einen Teil der Berliner Schule aufs Land zu ziehen. In die Uckermark etwa, wie in Thomas Arslans "Ferien", in ein Haus am See im nicht näher bestimmten Berliner Umland in "Nachmittag" von Angela Schanelec. Überhaupt wimmelt es im deutschen Film seit Stefan Krohmers "Sommer 04" nur so von Sommerurlaubern in ihren Zweitwohnsitzen, Land- oder Ferienhäusern. Ganz so, als müsste sich diese Sektion, die immer noch zu den spannendsten des deutschen Kinos zählt, selbst ein bisschen durchlüften, auf andere Gedanken bringen, sich neu sortieren und überlegen, wie es weitergehen könnte. Mit all den Reduktionen, mit der eigensinnigen Ästhetik, in der das Bedeutsame nicht so einfach vom Trivialen zu unterscheiden ist; wie es weitergehen könnte mit der ungewohnten Überhöhung des Durchschnittlichen und des Ephemeren und mit der hierzulande viel zu seltenen und damit umso bemerkenswerteren Stilsicherheit.
Eine kleine Flut von Sommerfilmen also, leicht, flirrend, mit unvorhersehbaren Wechseln aus Überhitzung und Kühle. Filme, in denen der Wind beständig in den Bäumen raschelt und mit seinen Böen die innere Anspannung seiner Protagonisten nach außen aufraut. Sie erzählen von Menschen, die eigentlich keinen Grund zur Klage haben, die in den Ferien, der Freizeit auf irritierende Weise sich selbst überlassen werden. Zumeist sind es bürgerliche Gestalten, die plötzlich von Kleinigkeiten erschüttert werden, die keine kompliziertere Ursache haben als das Leben selbst. Man quält sich, mokiert sich über die Sehnsucht der anderen, gibt den eigenen Überdruss zur Besichtigung frei. So auch Irene, die Schauspielerin, die Regisseurin Angela Schanelec in "Nachmittag" gleich selbst spielt. Vielleicht, weil sie in diesem Fall der eigenen schauspielerischen Mischung aus Fragilität und Egozentrik am meisten vertraut. Ihre Irene ist ein mageres, depressives Geschöpf mit dünnem, reizbarem Stimmchen, hinter dessen Zartheit eine gehörige Portion Aggression nistet. Irene verbringt den Sommer in einem Haus am See, zusammen mit ihrem Sohn Konstantin (Jirka Zett) und ihrem älteren, schwerkranken Bruder Alex (Fritz Schediwy).
Was sich zwischen den Familienmitgliedern ereignet, scheint Tschechows Stück "Die Möwe" abgeschaut. Es ist ein langes Lied zum kurzen Abschied, eine Elegie auf eine verfallende Familie. Und anders als in den schönsten Filmen Schanelecs - Mein langsames Leben von 2001 oder Plätze in Städten von 1998 - fällt vieles schwer in diesem Film, der sich Einstellung für Einstellung zu einem von unspektakulären Alltäglichkeiten gedeckelten Stimmungsdrama entwickelt. Es braucht eine Weile, bis sich die Beziehungen erkennen lassen und man weiß, wer Onkel, Opa oder Sohn ist. Das Pathos der theaterhaften Sprache - die manchmal unfreiwillig komisch ist - spinnt die Hausbewohner in einen weiteren Kokon. Die enervierend wiederholten Fragen und Antworten machen sich wie Ausrufezeichen wichtig. Dazu der Schluckauf von Sätzen und Repliken wie "Wohin gehst du?" - "Nirgendwohin." Umso schöner strahlen die Momente auf, in denen die Bühnensprache auf lebendige, gegenwärtige Neugier trifft. Wenn etwa Konstantins Freundin Agnes (Miriam Horwitz) sich traut, den Schriftsteller Max (Mark Waschke), Irenes Geliebten, unverblümt nach seinem Erfolg zu fragen. Die Amüsiertheit, aber auch der Neid, mit der der Umschwärmte der geraden Sprache der 19-Jährigen lauscht, beschert dem Film eine seiner schönsten Szenen.
Doch anders als sonst bei Schanelec drängen sich diesmal die Manieriertheiten, die gelegentlich schon in früheren Filmen in Ausstattung und Sprachgestus aufblitzten, zu sehr in den Vordergrund. Das rote Feuerzeug auf dem Tisch, der blaue Dartpfeil auf Konstantins Schreibtischablage, der Rechenschieber, der schwarze, viel zu elegante Badeanzug an einem kleinen Mädchen, die Streifen auf der Bettwäsche des Schwerkranken, die sich in einem Bikini wiederholen - alles trägt schwer an seiner zeichenhaften Bedeutsamkeit. Und so hat man allen im Wind wehenden Röcken und Haaren zum Trotz den Eindruck, irgendjemand müsste hier mal die Fenster aufreißen. Nicht weil einen die Tschechow"sche Stickigkeit so bildlich anspränge, sondern weil ein Stückchen Außenwelt, ein Stückchen Gegenwärtigkeit dieser mit Bedeutung aufgeladenen Monade gut getan hätte.
Mit "Nachmittag", einer an Tschechow erinnernden Geschichte über einen Sommer auf dem Land, bewegt sich Angela Schanelec an die eigenen künstlerischen Grenzen. Ein schwieriger und nicht immer geglückter Balanceakt zwischen purer Künstlichkeit und eindrucksvoller Präzision.