Am Limit
Am Limit
Von Hans Schifferle, epd Film, Nr. 3, 2007
Sie sind die Sprinter unter den Extremkletterern: die schon heute legendären "Huberbuam" Alexander und Thomas Huber, die 1.000-Meter-Wände mit höchstem Schwierigkeitsgrad in kürzester Zeit durchqueren. Nicht nur die Wand stellt also die Herausforderung dar, nicht nur die Schwerkraft, sondern vor allem die Zeit. Über diese Huber-Brüder hat Pepe Danquart jetzt einen recht aufwändigen Film gemacht, der seine mit dem Eishockey-Film Heimspiel und dem Fahrrad-Epos Höllentour begonnene Sport-Trilogie abschließt. Die Kunstfertigkeit und die Leidenschaft der Profis interessieren Danquart besonders in dieser Trilogie, und eine Körperlichkeit, die im extremen Sport transzendiert wird.
Bei "Am Limit" bewegt sich Danquart auf Werner-Herzog-Territorium. Eine fast typische Herzog-Figur tritt am Rande des Films als Kommentator auf: der langmähnige Kletter-Schamane Chongo, der im Yosemite-Valley lebt und über die Glückssuche beim Klettern philosophiert. Freilich ist Danquarts Herangehensweise viel leichter und schlichter als die des Mythomanen Herzog. Danquart will den Zuschauer hauptsächlich teilnehmen lassen an einer extremen Erfahrung.
So konzentriert sich der Film – abgesehen von ein paar Abstechern nach Patagonien und Bayern, der Heimat der Huberbuam – auf den Versuch der Brüder, die Granitsteinwand des "El Capitan" am Eingang des Yosemite-Tals in Rekordzeit zu durchsteigen. Ins kalifornische Yosemite pilgerten schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Hippies, seit Langem ist es der Hometurf der Freeclimbing-Bewegung. Die Huberbuam passen ganz wunderbar dorthin. Sehen sie doch mit den langen Haaren und den braungebrannten Körpern wie Indianer aus, oder wie Surfer – in der Vertikalen.
Der Film zeigt nun, dass Rekordversuche akribische Vorbereitung brauchen. Wie einen Text lesen die Brüder den senkrecht in den Himmel ragenden Fels. In unzähligen Probeläufen, wobei sie jedesmal schneller werden, besteigen sie die Wand. Die nuancenreiche Kletterroute lernen sie dabei auswendig: eine Partitur der Griffe und Manöver. Das sind die spektakulärsten und auch schönsten Bilder von Danquarts Film: wie die Brüder in der Senkrechten einen unglaublichen Tanz aufführen. Wenn Bergsteiger wie Reinhold Messner mit ihren Taten Epen schreiben, so verfassen die Huberbuam mit ihrem explosionsartigen Klettern quasi kinetische Gedichte am Rande des Abgrunds. Und Danquarts tapfere Kameraleute werden, ebenfalls in der Wand hängend, zu großartigen Kombattanten.
Der zweite, wichtige Aspekt neben der Kletterkunst ist in Danquarts Film natürlich die brüderliche Beziehung der Huberbuam. Ein Zusammenspiel, das einerseits von tiefem Vertrauen zueinander geprägt ist, andererseits aber auch von einer gewissen Spannung bestimmt wird. Die Brüder sind nämlich recht unterschiedliche Typen. Dem pragmatischen und körperlichen Junggesellen Alexander steht der eher grüblerische Thomas gegenüber, der verheiratet ist, zwei Kinder hat und in der Rockband "Plastic Surgery Disaster" spielt. Was die Brüder nun so alles erzählen über ihr Tun, ihre Ängste, Gefahren und ekstatischen Momente ist eigentlich nebensächlich. Viel interessanter ist es, dem bayerischen Dialekt der Brüder zu lauschen, der in einem faszinierenden Wechselspiel zu ihrem Äußeren steht. Und spannend ist es, ihre Gesichter und Körper zu beobachten. Während Alexander ganz Aktion ist und auch noch nach gescheiterten Unternehmungen siegreich erscheint, strahlt Thomas’ Gesicht Zweifel, Neid, Erschöpfung, aber auch einen besonderen Glamour aus. Zwei Seiten einer Medaille auf dem Weg, das Unmögliche zu schaffen.