Deutschland im Jahre Null
Deutschland im Jahre Null
Ro., film-dienst, Düsseldorf, 5. Jahrgang, 24.05.1952
Hätte Rosselini uns seinen Film gleich nach der Fertigstellung (1947) gezeigt, so hätte man manches mit den Zeitumständen entschuldigt. Heute aber, wo wir nur die fertige Leistung werten, interessiert es wenig, ob dieser eigenwillige Regisseur nur Laien verwendet (was de Sica ja auch tut, aber mit ganz anderem Erfolg); ob er viel oder wenig Zeit, gutes oder schlechtes Material für seine Aufnahmen hatte, und ob der Film nach einem Drehbuch entstand oder frei improvisiert wurde. Entscheidend ist, daß dieser Film, der inzwischen in der ganzen Welt als authentisches Dokument einer aus ihren moralischen und materiellen Fugen geratenen Zeit beachtet und diskutiert wurde, diesen Ruf vor kritischen Augen nicht aufrechterhalten kann. – 1947 ist Rosselini mit der Kamera durch die Ruinen von Berlin gewandert, und hat versucht, nicht nur das äußere Bild der geborstenen Mauern, sondern auch die Zerstörungen im Menschen selbst festzuhalten. Da ist inmitten von Menschen, die sich gegenseitig wie Raubtiere belauern, eine Familie mit einem kranken Vater. Der Sohn hält sich verborgen, um der Gefangenschaft zu entgehen, die Tochter geht mit den Besatzungssoldaten, um gelegentlich ein paar Zigaretten zu ergattern, und der kleine Edmund streift unermüdlich durch die Stadt, um irgendeine Beute heimzubringen. Dabei fällt er einem perversen entlassenen Lehrer in die Hände, der sich seiner "anzunehmen" verspricht, ihn jedoch zum Vatermord treibt und dann sich selber überläßt. Am Ende stürzt Edmund sich in den Tod.
Wenn auch viele der gezeigten Phänomene der Wahrheit entsprechen, an die wir uns noch gut erinnern, ist das Gesamtbild durch die eingeflochtene Spielhandlung so weit verschoben, daß dieser Film keine getreue Reportage mehr ist. Diese Jahre waren nicht nur ein Triumph der Skrupellosigkeit und des Egoismus, sondern auch Bewährung hilfsbereiter, treuer Menschlichkeit. Dadurch, daß diese Seite zu kurz kommt, gewinnt der Film einen üblen Beigeschmack, den er nicht hätte, wenn Rosselini – da er schon ohne Drehbuch arbeitete – einen schlichten Dokumentarfilm gemacht hätte. In künstlerischer Hinsicht ist außer dem sympathischen Spiel des kleinen Edmund und außer dem faszinierenden Effekt der Hitlerrede in der zerstörten Reichskanzlei nichts Rühmliches zu berichten. Man hat den Eindruck, daß hier nicht nur die Darstellung, sondern auch die Regie Laienarbeit ist.