Der lachende Mann
Schein oder Sein oder die sprechenden Köpfe
Robert Michel: Werkstatt Studio H & S. Hg. v. der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR. Information Nr. 6, 1976, S. 5-6
(…) "Der lachende Mann" in seiner erwiesenen Wirksamkeit hat die Theorie nachhaltig beschäftigt. Gerhard Scheumann und Walter Heynowski brachten in die Debatte selbst den Begriff des "prägnanten Typs" ein und den der "Attraktivität des Gegenstandes". Aus ihrem Werkstattbericht:
"Kongo-Müller ist sicherlich ein merkwürdiges Phänomen. … Ein Mordgeselle mit gewinnendem Lächeln! Ein Praktiker des Genozids, der eine höfliche Konversation führen kann! Diese Gestalt birst vor Widersprüchlichkeiten, die das Interesse an ihrem Studium wecken. Kongo-Müller paßt nicht in das Klischee vom Söldner, das wir alle mehr oder weniger stark ausgeprägt mit uns herumtrugen.
… In seinem "Dr. Faustus" trifft Thomas Mann eine wichtige Feststellung: "Das Typische läßt kühl, nur das als individuell Verstandene macht, daß wir außer uns geraten." Sicherlich trägt Müller die typischen Züge des imperialistischen Söldners; aber sie erscheinen in ihm nicht als abstrakte Größen: vielmehr werden diese Züge durch Kongo-Müller individuell "gebrochen"."
Ihr Konzept, das Bedeutsam-Allgemeine im Aufreizend-Besonderen zu fassen, in personeller Unverwechselbarkeit, hat sich in der weiteren Praxis verläßlich bewährt. Es hat sich aber auch, am deutlichsten mit den Chile-Filmen, am Stoff modifiziert: da ist es nicht mehr die eine einzigartige, wohl auch pittoreske Figur als filmische Attraktion, sondern vielmehr eine neue, außergewöhnliche Sicht auf schein-vertraute Gegenstände, sind es Entdeckungen am vermeintlich Gekannten; ein Wegziehen der Tarnkappe, Gewöhnung, eine subkutane Erfahrung von Wirklichkeit.
Um ihren Halt gebracht hat das Filminterview mit dem Kongo-Müller etliche eingefleischte methodische Regeln: Film/Fernsehen ist Bild und umso besser, je weniger da gesprochen wird; Redefilme sind a priori langweilig; Film braucht Bewegung, kann sich deshalb auf einem Gesicht nicht lange aufhalten.
Sicher gab es Anlaß für solche Thesen, gibt es ihn noch – der Grund, weshalb man sie bis heute zu hören bekommt. (Der Witz etikettierte das Fernsehen einmal mit "Seh-Rederei", und man tut gut daran, Witze irgendwo ernst zu nehmen.) Aber als theoretisches Postulat ist all das mit dem "lachenden Mann" erledigt.
Hier wird geredet, von Anfang bis Ende, und es ist ein Film. Ein Film mit Bewegung, ein Film voller Aktion. – Ein Kritiker fragte sich verwundert, was ihn eigentlich so gefesselt hatte, bei diesem "radikalen Verzicht auf Aktionen". Auch so ein radikales Mißverständnis. Spannung ist da, in der Rede und durch die Rede, Aktion ist da, Bewegung ist da – wenn man sie nicht befangen-blind nur in dinglichen Abläufen sucht. Der Gedanke ist sichtbar, im Gesicht, wie er hervortritt, wie er heranreift oder sich verliert, wie er unterliegt oder sich behauptet. Dies alles unter der Voraussetzung, daß die Rede kein Abtönen vorfabrizierter Texte ist und das Gesicht keine Verkündigungsmaske.
Das Gesicht - eine Landschaft, eine Bühne, "die unterhaltendste Fläche auf der Erde". Nichts leichter, nichts schwerer, ein Gesicht zu filmen. Keine Larve, keine Fratze, auch kein Antlitz. O doch, das gibt es: mit andrer Leute Kopf Grimassen schneiden. Ein Gesicht, das ist äußere und innere Physiognomie. (…)