Das Netz - Unabomber, LSD und Internet

Deutschland 2002-2004 Dokumentarfilm

Das Netz — Unabomber, LSD und Internet

Die Neuen Technologien und das Selbstverständnis des Menschen


Martina Knoben, epd Film, Nr. 01, Januar

Der Dokumentarfilmregisseur Lutz Dammbeck ist ein Meister der Fragen. In seinen Filmcollagen "Zeit der Götter" (1993), "Dürers Erben" (1996) und zuletzt "Das Meisterspiel" (1998) hat er die Zusammenhänge von Kunst, Macht und Ideologie untersucht, immer mit scharfem Blick für die Spuren des Totalitären.

Auch Dammbecks neuer Film hat die Puzzlestruktur früherer Arbeiten, verbindet Interviews mit historischen Aufnahmen und einigen wenigen illustrierenden oder atmosphärischen Bildern. "Das Netz" beschäftigt sich mit den Ideen, dem geistigen Klima, die zur Entwicklung der Kybernetik, von künstlicher Intelligenz und dem Internet geführt haben – und mit den Folgen, die diese Technologie für das Selbstverständnis des Menschen hat. "Wir bauen Werkzeuge und passen uns ihren Erfordernissen an", wird der Biologe JZ Young zitiert. "Das Netz" ist eine Sammlung von Aussagen und Eindrücken, die kein eindeutiges Bild ergeben, sondern in sich Widersprüche bergen und zum Widerspruch auch auffordern. Eine Form, die den Zuschauer stark fordert; die dem Totalitären, das Dammbeck in vielen Maskierungen immer wieder aufgespürt hat, konsequent zuwiderläuft; eine Form aber auch, die geradezu einlädt zur Spekulation.

Von den militärischen Interessen ist die Rede, die die Geschichte der Kybernetik immer begleitet haben; welche Rolle die Hippies mit ihren Drogenexperimenten ("eine alternative Form von Kybernetik") und ihrem Traum von einer offenen Gesellschaft spielten oder die Kunstavantgarde der sechziger und siebziger Jahre, die mit neuen Technologien experimentierte, sich nach dem "alles ist möglich" der virtuellen Welt sehnte. Als roter Faden dient dem Film die Geschichte des "Unabombers", der in radikaler Opposition zu diesem Traum einer technologischen Welt Anschläge auf Wissenschaftler und Manager verübte. Dabei wurden in den Jahren 1978 bis 1995 drei Menschen getötet und 23 zum Teil schwer verletzt.

"Das Netz" beginnt mit Bildern einer Wiese und einer verfallenen Hütte; Orten, an denen der Unabomber gelebt hat und die auch wie Tatorte gefilmt werden, wie Schauplätze aus "The Blair Witch Project". Direkt im Anschluss befinden wir uns in einem Flugzeug und blicken in einen Laptop. Wie hängen High Tech und der Spuk im Wald miteinander zusammen?



Dammbeck reist durch die USA und trifft Computerexperten und Vordenker der Cyber-Welt: den Literaturagenten John Brockman, Verleger vieler Cyber-Elite-Autoren; Heinz von Foerster, der als "Vater der Kybernetik"" gilt; oder Steward Brand, der den Begriff "Personal Computer" erfunden hat. Dammbecks Interviewpartner sind alle Männer; Frauen spielen in diesem Film keine Rolle, sieht man von der Sprecherin Eva Mattes ab, die die Position des Regisseurs vertritt. Dessen Gesprächspartner sind überwiegend charismatische, kluge Köpfe, denen man fasziniert zuhört. Deutlich wird aber auch, dass diese verspielten, kreativen Männer sehr zweifelhafte Entwicklungen auf den Weg gebracht haben. Birgt nicht jede Utopie den Keim des Schreckens?

Einer, der Technologie grundsätzlich ablehnt und für seine Überzeugung bereit war zu töten, ist Ted Kaczynski, der als Unabomber verhaftet und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Er korrespondiert mit Dammbeck aus dem Gefängnis. Dammbecks Haltung zu diesem Mann bleibt unklar, wie vieles in diesem Film. Die Verknüpfungen, die der Regisseur herstellt, sollen produktiv provozieren; und tatsächlich sind die Aussagen seiner Gesprächspartner und die Verbindungslinien, die Dammbeck herstellt, oft sehr anregend. In vielen Fällen aber bleiben die Verbindungen auch zu vage, werden nicht konkretisiert – vielleicht weil die Recherche immer wieder in Sackgassen führte? Regelrecht ärgerlich ist, dass der Film eine Art Plan suggeriert und dieses Versprechen dann – natürlich? – nicht einlöst.

Dammbeck entdeckt in der Cyber-Szene sogar den Schatten Hitlers – ist er nicht gleich am Anfang auf dem Bildschirm des Laptops im Flugzeug zu sehen? Sich ein Bild machen und den Menschen daran anpassen, das ist ein Kennzeichen des Totalitären. Dammbeck verwebt ein paar Stichworte zu den so genannten Macy-Konferenzen in sein Netz, kommentiert, dass dabei der Plan geschmiedet wurde, "antiautoritäre Menschen nach Maß" zu formen –und schlägt eine Verbindung zu den Studien mit bewusstseinserweiternden Drogen in den sechziger Jahren, an denen auch Kaczynski als Versuchskaninchen teilgenommen hatte. Mehr erfahren wir nicht; das Filmmaterial dieser Studie sei verschwunden.

Zum immer wieder unangenehm raunenden Tonfall des Films passt der Hokuspokus, auf der Tonspur. Oft sind Synthesizer-Klänge zu hören, die Datenströme hörbar machen sollen, wie in alten Sci-Fi-Filmen. Und die Passagen aus den Briefen Kaczynskis werden mit dem Geräusch eines pochenden Herzens unterlegt – weil der Unabomber das Herz des Films ist?

Fragen, nichts als Fragen – die Antworten überlässt Dammbeck anderen.

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