Aus der Tiefe des Raumes

Deutschland 2004 Spielfilm

Aus der Tiefe des Raumes

Fußball und Liebe im Jahre 1965


Manfred Riepe, epd Film, Nr. 12, 02.12.2004

Im Grunde haben wir es schon immer geahnt: Günter Netzer, Rebell am Ball und mehr Ästhet als Kicker, war in Wahrheit "nur" der genialste Standfußballer aller Zeiten - lauffaul, launisch, lax. Dass der Theaterregisseur Gil Mehmert in seinem Langfilm-Debüt, für das er auch das Buch schrieb, Netzer als Tipp-Kick-Männchen interpretiert, ist ebenso respektlos wie genial. Um diese pfiffige Grundidee herum hat er einen Film gedreht, der den Zuschauer mit wenigen geschickt eingesetzten Ausstattungsdetails wie Hornbrillen, Seitenscheitel und einem VW Karmann-Ghia in die bleierne Zeit von 1965 versetzt.

Bei einem Tipp-Kick-Turnier lernt der schüchterne, junge Hans Günter die Fotografin Marion kennen, die ihn gleich mit nach Hause und ins Bett nimmt. Natürlich denken die beiden nicht an Verhütung, und so bleibt ihre Liebesnacht nicht folgenlos: Hans Günter hat nämlich nach dem Turnier seinen däumlinggroßen Kicker-Fetisch dabei, ein Tipp-Kick-Männchen, dessen Trikot er weiß anmalte und mit der magischen Rückennummer "10" versah. Parallel zum Liebesakt purzelt der Miniatur-Balltreter nebenan ins Badewasser - aus dem er, durch einen elektrischen Kurzschluss zum Leben erweckt, als ausgewachsener Tipp-Kick-Mann wieder auftaucht und wonach er Hans Günter logischerweise "Vati" nennt.

Die nachfolgenden Szenen, in denen wir die Welt aus der Sicht dieses wie ein Pappmaché-Roboter umherstaksenden Kickers sehen, zählen zweifellos zu den liebenswürdigsten Momenten dieses komödiantischen Fußballmärchens. Die Bushaltestelle wird zum Tor und der auf den Bus wartende Passant zum - Klick-Klack - hin- und herfedernden Tipp-Kick-Keeper. So erklärt der Film uns mit stetem Augenzwinkern, wie Netzer zu seiner Langhaar-Frisur kommt, wie seine Fußball-Karriere und seine Freundschaft mit dem schon damals humorlosen und streberhaften Hans Hubertus (Vogts) begann.

Aber trotz einiger wirklich überzeugender und witziger Einfälle wirkt "Aus der Tiefe des Raumes" über die volle Distanz dann doch etwas spröde und hölzern. Die Figuren bleiben blass, und der Regisseur findet weder über den Kampf noch die Technik ins Spiel. Bereits die Rahmenerzählung, gemäß der Hans Günter als alter Mann mit Lungenkrebs im Krankenhaus liegt, um die wundersame "Geburt" Netzers aus dem Geist eines Tipp-Kick-Männchens der Nachtschwester zu erzählen, wirkt aufgesetzt. Die Dialoge sind häufig umständlich, und den Seitenblicken auf den Zeitgeist der sechziger Jahre fehlt es an zündenden Beobachtungen. In unfreiwilliger Analogie zum Motiv des Standfußballs hat der Film eine allzu gemütliche Spannungskurve, die an eine Fußball-Begegnung im unteren Tabellendrittel der Kreisliga erinnert: zu wenig Bewegung, kein Spiel ohne Ball, die Kicker stehen, wie die Schauspieler, meistens im dramaturgischen "Abseits". Nur wenn Günter am Ende gemäß dem Bonmot von Karl Heinz Bohrer tatsächlich aus der "Tiefe des Raums" und zu seinem Namen kommt, weil der Meister des ruhenden Balls von der Mittellinie aus einen Freistoß im "Netz" versenkt, dann kommt für einen Moment Freude auf.



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