En Garde

Deutschland 2003/2004 Spielfilm

En Garde

Debütfilm um Mädchenfreundschaft und erste Liebe



Michael Ranze, epd Film, Nr. 12, 02.12.2004

Es beginnt mit dem Ende. "Ich wollte nicht, dass sie stirbt. Es fing alles mit meinen Ohren an", sagt die 16-jährige Alice (Maria Kwiatkowsky) aus dem Off. Das Bewusstsein, dass diese Geschichte tragisch enden wird, soll den Zuschauer fortan nicht verlassen. Alice leidet an Hyperacusis, einer Störung des Gehörs, die Geräusche ins Unerträgliche verstärkt. Ein Sinnesorgan, das zur Last wird, das ein sanft knisterndes Blätterrascheln in ein donnerndes Überschallflugzeug verwandelt: Ayse Polat, deutschkurdische Regisseurin mit Arbeitsplatz in Hamburg, liebt diese kräftigen, fast schon überdeutlichen Metaphern, die die Empfindsamkeit ihrer Figur unterstreichen sollen. Später wird sie Alice beim Fechten zeigen, eingeschlossen in einen weißen Panzer, der Schutz vor dem Leben bietet.

Die Regeln sind einfach, der Konflikt ist klar, der Gegner steht einem direkt gegenüber. Erst in dieser Überschaubarkeit entwickelt Alice Sicherheit und Selbstbewusstsein. Nur beim Fechten kann sie sich gehen lassen. Endlich lächelt sie einmal.

Alice wurde von ihrer lieblosen, überforderten Mutter in ein katholisches Heim abgeschoben. Die Hyperacusis macht sie im Heim zur Außenseiterin: "Ich wollte von den anderen behandelt werden, als sei ich gar nicht da. Ich wollte nichts hören und nichts sehen." Und so schleicht sie mit gesenktem Kopf durch die Flure, sich dem Leben verweigernd. Trotzdem lernt sie Berivan kennen, eine lebensfreudige Kurdin, die noch keine Aufenthaltsgenehmigung hat und vielleicht wieder abgeschoben wird. Eine Heimatlose, und darum fühlt sich Alice ihr so sehr verbunden. Auch sie sucht nach einem Platz im Leben, einem Ort, wo sie bleiben will. Heimat – nicht nur eine Frage von Staaten und Ländern, sondern auch von Menschen und Beziehungen. Doch als sich Berivan in den Pizza-Fahrer Ilir verliebt, fürchtet Alice, ihre neue Freundin zu verlieren. Der nun folgende Konflikt mündet in eine Katastrophe, die alles verändern soll.

Der Hintergrund von "En Garde" beruht auf persönlichen Erfahrungen. Ayse Polat, in Locarno mit dem Silbernen Leoparden ausgezeichnet und beim Hamburger Filmfest mit dem Otto-Sprenger-Preis für Regienachwuchs belohnt, hatte vor Jahren in einem Heim für junge Frauen gearbeitet, sie betreut und ihnen bei schulischen Problemen geholfen. "Sie haben eine extreme Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit", so die junge Regisseurin im persönlichen Gespräch. "Freundschaften sind ihnen heilig. Und in dem Moment, wo sie eine geschlossen haben, packt sie die Angst, sie zu verlieren. Darum zerstören sie alles." Polat spürt der Zerbrechlichkeit von Alices Beziehung zu Berivan, ihren unterdrückten Gefühlen und ihrer Überempfindlichkeit sensibel nach. Die dramatische Zuspitzung, bei der eine verständnisvolle Heimschwester, die an Dorothea Wieck aus "Mädchen in Uniform" erinnert, durch einen Unfall sterben muss, ist dann aber doch zu gewollt. Und auch das Hirschgeweih, mit dem Alice in den letzten zehn Minuten des Films herumläuft, ist als Symbol für die misslungene Kommunikation mit der Tante, von der sie es geerbt hat, zu plakativ. Den seelischen Druck, der auf Alice lastet, hätte man dem Film auch so geglaubt.

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