1/2 Miete
1/2 Miete
Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 2, 22.01.2004
Gelegentlich klingen vage Erinnerungen an: nachhallende Gitarrenklänge einer melancholischen Musik, das sprachlose Getriebensein in der anonymen Großstadt, das plötzliche Umschlagen der Handlung in die Geschichte eines "Heilsbringers", der vereinsamten, in ihren Wohnungen isoliert lebenden Menschen quasi als Engel Gutes tut, indem er Kontakt zu ihnen aufnimmt – das könnten auch Kinogeschichten von Wim Wenders sein, der hier lediglich als Produzent fungiert, offensichtlich aber die eine oder andere Spur hinterlassen hat. Ansonsten scheint "1/2 Miete" auf den ersten Blick so wenig mit Kino zu tun zu haben wie "Lindenstraße" oder "Marienhof". Entstanden als Fernseharbeit innerhalb der WDR-Reihe "radikal digital", "atmet" der Film jene seltsame überklare Stimmung, wie sie digitale Bilder verbreiten, wenn sie mit einer extrem langen Tiefenschärfe aufgenommen werden. Da ist kaum etwas von jenem "Geheimnis" zu spüren, das von stimmungsvoll ausgeklügelten Kinobildern ausgeht; hier ist alles scharf und (über-) deutlich.
Dennoch versteht es Regisseur Marc Ottiker, aus solchen visuellen Gegebenheiten, die aus den technischen wie auch ökonomischen Herstellungsbedingungen resultieren, erzählerisches Kapital zu schlagen. Die Geschichte des gewieften Computerhackers Peter, der nach dem Selbstmord seiner tablettenabhängigen Geliebten Hals über Kopf seinen illegalen Arbeitsplatz in einer Berliner Wohnung verlässt, ist die eines rastlos Getriebenen, der lange Zeit in der analogen Wirklichkeit keinen Halt fassen kann – die hyperscharfen Bilder des Films könnten auch die seiner übersteigerten, leicht hysterischen Wahrnehmung sein. Mit seinem letzten Geld kauft Peter eine Zugfahrkarte, die ihn nach Köln bringt, wo er ziel- und orientierungslos durch die Straßen irrt. Ob es der Schock ist oder Panik angesichts der Größe seines aktuellen Hacker-Deals – jetzt, wo er nicht mehr vor dem heimischen Monitor sitzt, ist Peter heimatlos, den Bildern der Wirklichkeit ausgeliefert. So flüchtet er immer mehr in die Leben anderer Menschen, nistet sich kuckucksgleich in ihren Wohnungen ein, isst und schläft dort in deren Abwesenheit, um dann wieder zu verschwinden. Das geht selten reibungslos, oft ist Peter von Entdeckung bedroht und wird hin und wieder auch ertappt. Doch je näher er den Menschen, ihren Lebensgewohnheiten, Schrullen und vor allem ihrer Einsamkeit kommt, desto neugieriger wird er auf sie – und erkennt die Perspektivlosigkeit seines eigenen illegalen Handelns mit gestohlenen Computerprogrammen.
So entsteht eine recht reizvolle Meditation über Entfremdung und Isolation, Nähe und Distanz, Einsamkeit und Sehnsucht, seelische Unbehaustheit und die Tristesse von Wohnungen, die zum subtilen Spiegelbild menschlicher Befindlichkeiten werden. Skurrile Einzelgänger wie der Schriftsteller Schrader und der Nachtschichtler Felder oder die auf Reinlichkeit und Ordnung bedachte Büroangestellte Paula geben episodische Einblicke in ihr Leben, in das sich Peter mit kleinen Botschaften "einklinkt", die Reaktionen darauf abwartet und tatsächlich, wenn der erste Schrecken abklingt, "Feedback" bekommt – Lebenszeichen, Signale dafür, dass die Menschen bereit sind, stückweise aus ihrer Isolation herauszutreten. Es ist verblüffend, wie Ottiker dabei zunehmend Wärme in die digitalen Bilder bekommt, sodass am Ende sogar eine kleine Liebesgeschichte zwischen Peter und Paula aufflammt, eine Art (Kino-)Utopie, bestehend aus stillen Momenten, stummen Gesten, Unausgesprochenem. Sicher: Das wirkt alles eher wie eine Vorstudie, ein digitales Storyboard für einen "richtigen" Kinofilm – aber vielleicht hat man ja doch auch schon ein Stück weit in die Zukunft eines sich verändernden Kinos geblickt.