Schultze gets the Blues

Deutschland 2002/2003 Spielfilm

Schultze Gets the Blues



Andrea Dittgen, film-dienst, Nr. 8, 15.04.04

Das Verblüffendste an "Schultze Gets the Blues" ist, dass ein deutscher Film von typisch deutschen Menschen und Traditionen handelt – und trotzdem nicht "typisch deutsch" wirkt. Das liegt an der Art, wie der 38-jährige Autor und Regisseur Michael Schorr seine Geschichte erzählt: in wunderschön konstruierten Tableaus einer an sich trostlosen Landschaft, wortkarg, musikbetont und mit einem augenzwinkernden Humor, der auch vor den ernsten Seiten des Lebens nicht halt macht – und mit einem überragenden Hauptdarsteller. Horst Krause, ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis für "Wir können auch anders" (fd 30 116), spielt diesen massigen Herrn Schultze mit einer Präsenz, der man sich nicht entziehen kann und die den ganzen Film trägt.

Gerade ist Schultze, ein gemütlicher Bergmann und ein seit langem allein lebender Witwer aus Sachsen-Anhalt, frühpensioniert worden. Eine kitschige Lampe, die er lustlos zu Hause an- und ausknipst, ist alles, was er als Dank für sein Arbeitsleben bekommen hat. Was bleibt, sind gelegentliche Treffen mit den Kumpels in der Dorfkneipe, bei denen die Männer jedoch nicht wirklich miteinander reden – dafür kennen sie sich schon zu lange. Immerhin hat Schultze noch sein Akkordeon. Schon sein Vater spielte darauf – und immer nur das eine: Polka. Bisher war Schultze damit ganz glücklich, aber als er aus Langeweile am Radio herumspielt und zufällig flotte Cajun- Musik aus Louisiana hört, ist es um ihn geschehen. Das ist im Prinzip wie Polka, nur schneller, schwungvoller, lebensfroher. Zuerst ist Schultze verwirrt, dann begeistert, und bald schon übt er sich in den neuem Rhythmus ein, der ihn aus seiner Lethargie reißt.

Dass die Kollegen im Heimatverein entsetzt sind, als er bei einem Tanzabend eben nicht Polka, sondern seine neue Musik spielt, macht ihm nichts aus. Er hat neuen Lebensmut gewonnen und will nun dahin, wo diese Musik herkommt: nach Amerika. Die Mitglieder des Heimatvereins, die Schultze vielleicht insgeheim doch bewundern, schicken ihn als Vertreter zum Jubiläumsfest eines befreundeten Heimatvereins nach Texas. Dort muss Schultze feststellen, dass das amerikanische Deutschtum, Musik inklusive, viel abstoßender ist als das, was er von zu Hause kennt. So besorgt er sich ein kleines Motorboot und fährt allein den Mississippi entlang, bis nach Louisiana. Zwar kann er kein Englisch, aber das ist nicht tragisch, denn er verständigt sich auch so – zum Beispiel mit der farbigen jungen Mutter, die ihn auf ihr Hausboot einlädt. Es ist das erste und letzte Mal, dass sich Schultze glücklich fühlt, bevor er auf unerwartete Art und Weise nach Hause zurückkehrt.


Eine karge Landschaft mit malerischen hohen Kali-Bergen am Horizont und Windrädern, die in Reih’ und Glied in der Ferne stehen, ist der Ausgangspunkt der Geschichte um einen Mann, der spät im Leben für kurze Zeit noch einmal aufblüht. Das enge, billig eingerichtete Bergmannshäuschen und die Stammkneipe mit hölzernem Nachkriegs-Einheitsmobiliar sind die anderen Schauplätze in Sachsen- Anhalt, die Michael Schorr fast dokumentarisch einfängt – genauso wie Schultze, der immer einen Hut trägt, wie dies einfache, ältere Männer auf dem Dorf gerne tun, sogar in der Kneipe. Solche subtilen Bilder vom Land und von seinen Bewohnern verbinden sich mit knappen Dialogen und Blicken, die alles sagen, und schaffen von Anfang an eine gelöste Stimmung, sorgen für eine lakonische Inszenierung, die ein wenig an Aki Kaurismäki erinnert, wären da nicht diese typisch deutschen Elemente, etwa die schulterklopfenden Vereinsmeier und die aufgetakelte, etwas beschränkte Dorfschönheit, die als Randfiguren zwar klischeehaft sind, aber im Kontrast zu Schultze Sinn machen und an die Satiren von Gerhard Polt erinnert.

Michael Schorr hat in seinem Spielfilmdebüt nach mehreren (prämierten) Dokumentar- und Kurzfilmen eine eigenständige Form gefunden, den Zuschauer mit farblich sorgsam komponierten Bildern und einfacher Musik emotional zu packen. Wenn Schultze zu Hause sitzt, erst Polka spielt, dann innehält, am Radioknopf dreht, Cajun-Musik hört, schnell weiter-, dann aber wieder zurückdreht, das Radio aus- und dann wieder einschaltet, sein Akkordeon greift und erst holprig, dann immer schneller seinen Polka-Rhythmus in Zydeco verwandelt, dann bringt Schorr eine grundsätzliche Situation auf den Punkt, die viele erleben, wenn sie etwas Neues erfahren, das sie aber noch nicht einordnen können und erst langsam für sich annehmen müssen. "Schultze Gets the Blues" hat viele solche Momente, die dem Leben abgeguckt sind. Nicht nur den fröhlichen, sondern auch den traurigen, denn im Grunde bleibt Schultze der einsame Mann, der er immer war. Echte Freunde findet er in Amerika selbst unter Musikern nicht, und wenn er eines Morgens, in eine Decke eingewickelt, neben der US-Fahne und den Essensresten des Vortrages aufwacht, dann wird ihm das auch bewusst. Was weiter passiert, lässt Schorr geschickterweise aus. Aber die zwei Dutzend Dörfler, die mit der Blasmusikkapelle als Silhouette unter den Windrädern vorbeiziehen, das poetische Schlussbild dieses Films, legt nahe, dass Schultze zuhause mehr Freunde hatte als er dachte. "Schultze Gets the Blues" wurde als "Kleines Fernsehspiel" des ZDF für eine Million Euro produziert und mit dem Innovationspreis für beste Regie bei der Nachwuchsreihe des Festivals von Venedig 2003 ausgezeichnet

Rights statement