Der letzte Akt
Kann man Hitler verfilmen?
Michael Töteberg, film-dienst, Nr. 19, 16.09.04
"Dieser Film überzeugte mich, dass man Hitler wirklich spielen kann": Bruno Ganz hat freimütig bekannt, dass seine Entscheidung für "Der Untergang" durch Albin Skodas Darstellung des Führers in "Der letzte Akt" beeinflusst wurde. Bernd Eichingers als erster deutscher Hitler-Film groß gestartetes Kino-Event wirkt über weite Strecken wie ein Remake des Films von G.W. Pabst, nicht zuletzt deshalb, weil beide auf derselben Quelle basieren: Traudl Junge arbeitete damals als Beraterin bei "Der letzte Akt" mit. Schließlich erscheinen die Diskussionen im Vorfeld von "Der Untergang" wie eine aktuelle Neuauflage jener Debatte, die 1955 geführt wurde: "Kann man Hitler verfilmen?", fragte seinerzeit Friedrich Torberg. Doch von gelegentlichen Fernsehausstrahlungen im Nachtprogramm abgesehen, ist Pabsts Film in Vergessenheit geraten – selbst umfangreiche Filmgeschichten wissen nichts von ihm.
Anfang 1955 schlug eine Illustrierte Alarm: "Uns bleibt doch nichts erspart: Hitler stirbt für Kino-Kassen...", überschrieb die "Quick" ihre Reportage von den Dreharbeiten. Der Tenor war eindeutig. Das Unternehmen wurde durch den penetrant wiederholten Hinweis diskreditiert, der Film sei ein Werk von ausländischen Geschäftemachern: "Ein österreichischer Produzent dreht für eine amerikanische Verleih-Firma." G.W. Pabst wurde als "österreichischer Regisseur" vorgestellt, und selbst bei Emmerich Nastl, der als Wachoffizier im Bunker war und nun das Filmteam beriet, fehlte nicht die Anmerkung: "So macht der Österreicher, heute Vertreter einer Lebensmittelfirma, seine Erinnerung aus schlimmer Zeit zu Geld." Der Autor war kein Österreicher, aber als vaterlandsloser Gesell bekannt: "Für das größte Honorar in der Geschichte des deutschsprachigen Nachkriegs-Films schrieb Remarque das Drehbuch zum "Letzten Akt". Er kennt die Hitler-Zeit nur vom Hörensagen." Der Illustrierten-Bericht schloss: "Ob der Film dem deutschen Volk gut tut, das ist eine Frage, die nicht gestellt wird."
Seit der ersten Pressenotiz stand das Filmprojekt unter kritischer Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Erst die Bündelung verschiedener Interessen und Initiativen hatte die Realisierung ermöglicht. Der Regisseur G.W. Pabst hatte die Idee zu einem Film über den Untergang Hitlers bereits 1948; ihm schwebte eine Tragödie vor wie Shakespeares "Julius Caesar". Pabst hatte in der Weimarer Republik mit den Filmen "Die freudlose Gasse2, "Westfront 1918" und "Kameradschaft2 Filmgeschichte gedreht, aber auch im Dritten Reich u.a. "Paracelsus" gedreht. Für seinen Hitler-Film konnte er all die Jahre keine Finanzierung finden. Geld war nicht das Problem für den Produzenten Carl Szokoll, der in dem Millionär Ludwig Polsterer einen finanzkräftigen Partner hatte. Als Major der Wehrmacht im Generalkommando Wien war Szokoll Mitglied einer Widerstandsgruppe und verriet die deutschen Verteidigungsstellungen an die Russen, was ihm nach 1945 politische Anfeindungen einbrachte. Ausgangsbasis für den Film "Der letzte Akt" war ein Buch von Michael A. Musmanno. Der US-Jurist, Richter an den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen, wollte der Mythenbildung um Hitlers Tod entgegenwirken und hatte Zeitzeugen befragt, darunter auch Hitlers Sekretärin Traudl Junge. Mehrfach trafen sich in München Musmanno, Pabst, Szokoll und Traudl Junge, die später auch bei den Dreharbeiten in Wien anwesend war. Bei einer dreitägigen Arbeitskonferenz – inzwischen lag ein erstes Exposé vor – konnte keine Einigung erzielt werden. "Der eine wollte den Stoff kabarettistisch verarbeitet sehen, der andere mit historischem Ernst", berichtete die "Süddeutsche Zeitung" Anfang Oktober 1954. Die gefundene Lösung stand schon in der Überschrift: "Remarque schreibt Drehbuch zu Hitler-Film."
Der Name Erich Maria Remarque war ein rotes Tuch; schon die Ankündigung seiner Mitwirkung mobilisierte alte Ressentiments, galt er doch seit seinem 1929 erschienenen Roman "Im Westen nichts Neues2 als "Zersetzungsliterat". Die amerikanische Verfilmung des Weltbestsellers war in Deutschland heftig umkämpft; die Nazis sprengten die Vorstellungen, bis die Polizei mit dem Argument, Ruhe und Ordnung seien nicht zu gewährleisten, den Film verbot. Seitdem lebte er im Ausland. Seine Bücher wurden 1933 verbrannt, er selbst wurde ausgebürgert und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Die Reaktion auf seine Verpflichtung als Drehbuchautor hielt Remarque in seinem Tagebuch fest: "Bereits Rauschen im deutschen Blätterwald wegen des Films. Wie kann ich, ein Hollywood-Nightclubfritze u. Szokoll, ein Verräter, der im Krieg alles tat, damit Wien nicht zerstört wurde, es wagen – Man sollte meinen, jedem Verbrecher sei es erlaubt, einen "Hitler"- Stoff zu machen, – aber nein: heiligstes Volksgut, noch immer."
Unter "Entzauberungsschock"
Tatsächlich wurde in der Presse die Frage aufgeworfen, "ob das Aufgreifen dieses Themas nicht an die Grenzen des guten Geschmacks rührt". Zehn Jahre nach Kriegsende stand das deutsche Volk immer noch unter dem "Entzauberungsschock" (Joachim Fest). Hitler im Bunker war keine heroische Lichtgestalt mehr, nicht einmal im negativen, im diabolischen Sinne. Zum Hitler-Mythos gehörte der Führer, der sich vor der grandiosen Kulisse von choreografierten Massenversammlungen mit dem Volk vereinigte; der Diktator im Bunker war ein einsamer Mann, vergraben in einer Katakombe, schwankend zwischen Apathie und infernalischen Ausbrüchen, getrieben nur noch von der destruktiven Lust am Untergang. Ein verbrecherischer Tribun, zur Kenntlichkeit entstellt: "Hitler im Bunker – das ist der wahre Hitler!", hat Graf Stauffenberg gesagt. Andererseits hat die Situation des von den Feinden eingekesselten und den Gesinnungsgenossen verlassenen Herrschers tragischen Charakter – musste nicht die Darstellung des Zerfalls einstiger Macht und ausweglosen Niedergangs, wider alle Absicht der Filmschöpfer, zwangsläufig Mitleid beim Zuschauer auslösen?
Mit der Beschränkung auf den letzten Akt des Dramas stellte sich das Problem, positive Gegenfiguren zu entwickeln. Szokoll hatte die Idee – angeregt von den Wochenschau-Bildern, wie Hitler am 20. April 1945 noch einige Hitlerjungen, die als letztes Aufgebot mit Panzerfäusten bewaffnet Berlin verteidigten, mit dem Ehrenkreuz dekoriert –, die Geschichte des Jungen Richard und seiner Familie als Nebenhandlung zu erzählen. (Auch in Eichingers Film gibt es einen solchen Jungen, dort heißt er Peter Kranz.) Remarque führte eine weitere Figur ein, den Hauptmann Wüst, Ritterkreuzträger, der das "andere Deutschland" repräsentierte und am Schluss – im Sterben, zu dem Jungen Richard – die politische Moral aussprach: "Seid wachsam! Sagt nie wieder "Jawohl!"" Remarque schrieb ein Drehbuch, das keine reißerischen Effekte scheute und in kitschigen Genrebildern Hitler und Eva Braun als spießige Kleinbürger denunzierte. Verfilmt wurde dies nicht – Remarques Drehbuch liegt seit 1998 gedruckt vor, und ein Vergleich mit dem realisierten Film lässt erahnen, welche heftigen Auseinandersetzungen es im Filmteam gegeben haben muss.
Ein Totentanz
Remarque verfolgte mit dem Film agitatorische Absichten, Produzent Szokoll dagegen erklärte: "Wir wollen keinen Propagandafilm gegen den Nationalsozialismus drehen. Wir wollen die Tragödie des Menschen Hitler darstellen." Man dürfe Hitler nicht als "grausiglächerliche Figur" erscheinen lassen, der Mann sei "kein Kasperl" gewesen. Szokoll erläuterte dem "Spiegel", der Film solle eine Katharsis beim Kinopublikum erwirken: "Indem wir das ganze Problem Hitlers und die ganze Schuld aussprechen, wollen wir dem deutschen Volk das Schuldgefühl nehmen." Über die Publikumsreaktion auf den Film berichtete der UP-Korrespondent Wilfried Saliger: "Die Zuschauer der Welt-Uraufführung in Köln erlebten ihn mit ungläubigem Schrecken, mit Gelächter über die Weltfremdheit der letzten Kriegstage in dem Bunker der Reichskanzlei und mit der unsicheren Frage: "War es wirklich so verrückt?"" Saliger zitierte einen Kölner Geschäftsmann: "Es war gespensterhaft."
"Der letzte Akt" ist kein spekulatives Machwerk. Die düstere Szenerie wird realistisch in Szene gesetzt; um Objektivität bemüht, setzt der Regisseur auf die Stilmittel der Neuen Sachlichkeit. Nur selten verlässt die Kamera das Drama in der hermetisch abgeriegelten Höhle. Während draußen alles in Schutt und Asche fällt, regiert unten, geschützt durch meterdicke Betonmauern, die leer laufende Mechanik des Militärapparats. Shakespeare lieferte das Modell: Auf der Hauptbühne, bei den Lagebesprechungen, agiert das politische Personal; die Nebenbühne ist bevölkert von alkoholisierten Soldaten und Stabshelferinnen in der Kantine. Hier wird, angefeuert von schrägen Jazzklängen und Durchhalteschlagern, eine verzweifelte Weltuntergangsorgie gefeiert. Ein Totentanz. "Nun hat auch die Gestalt Hitlers ihr Spielfilm-Debüt erlebt2, und die Kritiker hatten zu urteilen. Gunter Groll war hin- und hergerissen: "Makabres Spiel, halb Dokument, halb Schreckensoper, halb Meisterwerk und halb Verkrampfung, ein Reißer halb und halb ein Mahnmal..." Für die Zeitung "Die Nation" war "Der letzte Akt" schlicht "ein dummer, läppischer Tendenzstreifen, jeder Zoll und Meter eine geschmacklose Filmschmiere". Besonders heftig war die Ablehnung in der Branchenpresse. Das "Film-Echo" warnte die Kinobesitzer, dem Besucher werde "ein historisches Schauerdrama" vorgesetzt. "Schweigend verläßt er das Theater und überlegt, warum er sich im Kino bestätigen lassen muß, daß er sich zwölf Jahre lang geirrt hat. Frauen und Jugend gehen gar nicht erst hinein."
Die Branchenkenner sollten recht behalten: Der Film stieß auf eine breite Ablehnungsfront, das Publikum reagierte mit demonstrativem Desinteresse. Die Illustrierte "Wochenend" kolportierte einige Zuschauer-Meinungen. Ein Arzt fragte, "ob man solche beinahe vergessenen Dinge noch einmal wieder aufrühren soll". Die Jugend wolle von diesen Sachen nichts mehr wissen, gab ein 19-jähriger Volontär zu Protokoll. "Man soll uns doch endlich in Frieden und Freiheit arbeiten, aufbauen und leben lassen." In einem gewundenen Absagebescheid verweigerte die Filmbewertungsstelle ein Prädikat. Das gesellschaftliche Klima der Bundesrepublik wurde Mitte der fünfziger Jahre – 1955, dem Jahr der Uraufführung, kehrten einige damals am Bunkergeschehen Beteiligte aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zurück – von Verdrängung geprägt, Ergebnis einer intensiven Abwehr von Schuld, Scham und Angst, nachzulesen ein gutes Jahrzehnt später in Alexander und Margarete Mitscherlichs Buch "Die Unfähigkeit zu trauern". Die Gesellschaft hatte den Tod des Führers noch nicht verarbeitet, nicht bloß den Tod der realen Person Adolf Hitler, sondern "das Erlöschen seiner Repräsentanz als kollektives Ich-Ideal“ (Mitscherlich). Im Ausland hatte man solche Probleme nicht – "Der letzte Akt" erwies sich als Exportschlager und wurde in 52 Länder verkauft. In Deutschland verschwand der Film nach kurzer Zeit aus den Kinos. "Es ist zu früh für Hitlerfilme", lautete das Fazit in der "Süddeutschen".
Und 50 Jahre später? Erneut wird die Frage diskutiert: Kann man Hitler ins Kino bringen? Historie wird im Film seit Erfindung des Mediums nachgestellt, doch dieses Thema galt als tabu. Hitler sei nicht darstellbar, ihm sei allenfalls mit den Mitteln der Groteske oder der Farce beizukommen, so ein gängiges ästhetisches Axiom. Der amerikanische Bibliothekar Charles P. Mitchell hat in seinem Buch "The Hitler Filmography" 100 Spielfilme akribisch aufgelistet, beginnend mit dem Chaplin-Klassiker "The Great Dictator", aber auch B-Movies, Fantasy und Trash, allerlei Absonderliches und Abstruses. Schon beim Durchblättern zeigt sich: Als Filmsujet ist Hitler vornehmlich ein Thema für Hollywood. Von randständigen Werken – Hans Jürgen Syberbergs "Hitler, ein Film aus Deutschland" (1977), ein siebenstündiges Oratorium, wagnerisch schwelgend in Mythen, oder Christoph Schlingensiefs "100 Jahre Adolf Hitler" (1989), wüstes, obszönes Underground-Kino, Hitler und Kumpane als Freakshow – abgesehen, rutscht Hitler nur als Schatten im Hintergrund durch die deutsche Filmgeschichte. Das wird sich ändern: "Der Untergang" ist nur der Anfang.
Hinweis
Der Beitrag erschien in ausführlicherer Form auch in dem Filmbuch "Der Untergang" von Joachim C. Fest und Bernd Eichinger, das von Michael Töteberg herausgegeben wurde (Rowohlt Verlag, Reinbeck 2004, 464 S., 10,90 EUR). Das Buch enthält neben Fests Vorlage auch das Drehbuch von Bernd Eichinger zum Kinofilm sowie zahlreiche Filmfotos und Interviews mit Bruno Ganz, Bernd Eichinger und Joachim C. Fest.