Das kleine Gespenst
Das kleine Gespenst
Rolf-Rüdiger Hamacher, film-dienst, Nr. 22, 27.10.1992
Nahezu jedes Kind hierzulande wächst mit den Büchern von Otfried Preussler (u. a. "Die kleine Hexe", "Der Räuber Hotzenplotz"), auf. Viele seiner Geschichten wurden für das Kino bzw. Fernsehen bearbeitet. Daß eines seiner erfolgreichsten Bücher, das 1966 mit über einer Million Auflage erschienene und in 16 Sprachen übersetzte "Das kleine Gespenst", erst jetzt den Weg auf die Leinwand findet, zeigt, daß die Kinder- und Zeichentrickfilm-Produktion hierzulande jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt wurde.
Das kleine Gespenst spukt seit Jahrhunderten jede Nacht durch Burg Eulenstein, wobei ihm sein Zauber-Schlüsselbund alle Schlösser öffnet. Wenn es genug Unfug angerichtet hat, besucht es seinen Freund, den Uhu Schuhu, und erzählt ihm von alten Zeiten. Der größte Wunsch des kleinen Gespenstes ist es, einmal bei Tageslicht durch die Gemäuer zu streifen. Als eines Tages sein Traum durch einen technischen Defekt - die Rathausuhr blieb stehen und wurde erst zwölf Stunden später wieder in Gang gesetzt - in Erfüllung geht, ergeben sich allerdings einige Komplikationen: durch die Sonnenstrahlen wird das kleine Gespenst pechschwarz und verbreitet Angst und Schrecken unter den Bewohnern des Städtchens. Und als es im Rathaus Plakate zur 350-Jahr-Feier der Belagerung durch die Schweden im Dreißigjährigen Krieg findet, erkennt es auf den Bildern seinen alten Widersacher, den General Torsten Torstenson, der damals seine Tagruhe mit seinen Kanonenschüssen gestört und den es so erschreckt hatte, daß er abgezogen ist. Nichtsahnend, daß es sich um Werbeplakate handelt, verunstaltet es die Konterfeis des Generals, jagt dem wütenden Bürgermeister und der ratlosen Polizei einen gehörigen Schrecken ein und zieht sich befriedigt zur Nachtruhe in den Keller der Apotheke zurück. Als es am nächsten Morgen von Kanonendonner geweckt wird, denkt es, der General sei zurückgekehrt und wirbelt den ganzen Festumzug durcheinander. Die Kinder des Apothekers, die sich als einzige nicht vor dem kleinen Gespenst fürchten, klären es schließlich über seinen Irrtum auf und stellen auch die Rathausuhr wieder vor, damit das kleine Gespenst wieder zu seinem "Nacht-Spuk-Rhythmus" zurückfindet. Und so kann es seinem Freund Schuhu wieder ein neues Abenteuer erzählen.
"Das kleine Gespenst" ist ein langweilig animierter Zeichentrickfilm, der vor unbewegten Hintergründen selbst seine Hauptfiguren wenig plastisch porträtiert. Saft- und kraftlose Dialoge, meist noch von völlig unpassenden Stimmen gesprochen (besonders das kleine Gespenst ist eine totale "Fehlbesetzung"), lassen weder Humor noch Spannung aufkommen Die Musik hört sich trotz einiger "intellektueller" Zitate, etwa aus dem "Dritten Mann", an wie die Hintergrundmusik bei "Kaffeefahrten". Und wenn Slapstick-Einlagen ein wenig Schwung in die lahme Handlung bringen sollen, sind sie mit einer solchen Phantasielosigkeit inszeniert, daß man sich fragt, ob die ganze Entwicklung der Stummfilm-Komödien und der Comic-Action an den Filmemachern vorbeigerauscht ist. Auch der auf eine spätere Fernseh-Ausstrahlung schielende "Kapitel"-Charakter der Geschichte, der nie einen dramaturgischen Fluß aufkommen läßt, bringt den Film als Kino-Erlebnis arg in Bedrängnis.
Andererseits bemüht sich der Film redlich, Rücksicht auf das Aufnahmevermögen seiner jüngsten Zielgruppe, der 40jährigen Kinder zu nehmen: keine hektischen Schnitte, keine gewalttätigen Aktionen belasten das junge Publikum. Statt Schrecken erwartet sie höchstens ein sanftes Erschrecken - und auch das mit "Ansage". Genauso behutsam werden "Botschaften" transportiert und Bezüge hergestellt: die Kinder leben den Erwachsenen vor, wie wichtig es ist, einen Freund zu haben. Und eine Maus verhält sich menschlicher als der Mensch, der Angst vor einem "schwarzen" Gespenst hat, das er als "weißes" noch akzeptiert hatte. Das sind Anspielungen, die man - wie nach dem Vorlesen eines Buches - sicherlich mit den Kindern noch herausarbeiten müßte - aber sie heben den Film aus seiner sonstigen künstlerischen Bedeutungslosigkeit doch etwas heraus, weil sie nicht mit dem "Holzhammer" daherkommen. Ansonsten dürfte das Vorlesen des Kinderbuch-Klassikers vermutlich die Phantasie mehr anregen und größeres Vergnügen bereiten als diese gutgemeinte, aber letztlich mißlungene filmische Adaption.