Heidenlöcher
Heidenlöcher
H. Gerhold, film-dienst, Nr. 22, 04.11.1986
Die Situation ist ähnlich verzweifelt wie in Francesco Rosis „Christus kam nur bis Eboli“ (fd 22 593): Im Kriegswinter 1942/43 sind alle wehrfähigen Männer eines österreichischen Bergbauerndorfes, das im Ellmau-Tal im Salzburgischen liegt, eingezogen worden. Die Arbeit wird von polnischen Fremdarbeitern verrichtet, die in einem KZ-ähnlichen Lager interniert sind. Einer der Bauern, Santner, ist desertiert und wird von seiner Frau und dem Bauern Dürlinger heimlich versorgt – mit stiller Duldung der anderen Bewohner, die wissen, daß sich Santner in den „Heidenlöcher“ genannten Berghöhlen und Felsklüften der Umgebung aufhält. Es gelingt ihm immer wieder, der Gestapo zu entkommen, einmal um den Preis eines Menschenlebens, als er einen Wachtposten ersticht. Dürlingers Sohn Ruap, der sich grämt, weil er nicht an der Front ist, weil sein älterer Bruder von dort Feldpostkarten schickt und weil sein Vater offensichtlich zu freundlich zu den Polen ist, beobachtet eines Tages, wie der Vater den Santner im Wald versorgt. Er informiert die Polizei; Feldjäger, Gendarmen und Gestapo schwärmen aus, um Santner zu fangen, der, tödlich angeschossen, Ruap mit in den Tod nimmt. Bauer Dürlinger wird verhaftet. Die Flucht gelingt indes dem Arbeiter Jacek, der aus dem Lager umquartiert wurde auf Dürlingers Bauernhof und der dort mit der Magd Agnes seine Flucht geplant hatte.
Dieses nach authentischen Vorfällen zusammengestellte Gebirgsdrama wird in dem Debütfilm von Wolfram Paulus fern jeder Melodramatik, beinahe dokumentarisch klar, präzise und eindringlich geschildert. Daß die Parabel von Heimat, Flucht und Verrat unter den Bedingungen eines diktatorischen Herrschaftssystems besticht, liegt vor allem an Paulus" konsequentem Stilisierungswillen. Selten hat man derart kontrastreiche Schwarz-Weiß-Aufnahmen gesehen, die das Geschehen in den verschneiten Bergen und Tälern verdichten. So wie alles unter einer eisigen Schneedecke begraben ist, so verschüttet sind auch die Gefühle der Menschen, die sich selten äußern, und wenn, dann in einem knappen, kaum zu verstehenden Salzburgisch. Das verhindert jedoch nicht das Verständnis des Films, der in einer intensiven Bildsprache das „übersetzt“, was in den Gesichtern, den Gesten und der gebückten Haltung der Dorfbewohner verborgen ist. Für die untergründigen Konflikte und wahren Gefühle der Menschen hat Paulus in einer an den frühen Bresson erinnernden Ausschnitt- und Montageform eindrucksvolle Szenenfolgen gefunden, am besten vielleicht in jener wiederholten Sequenz, in der Frau Santner ihrem Mann heimlich Essen bringt und dies als Nahrung für ihre Kaninchen tarnt: so ist auch nur Santners Hand zu sehen, als er Brot und Wasser an den Kaninchen vorbei aus deren Stall holt. Die Großaufnahmen von Details sprechen hier ebenso Bände wie die gewaltigen Totalen, wenn die Jagd auf Santner beginnt und die Männer wie in einem Schneewestern ausschwärmen.