Katzelmacher

BR Deutschland 1969 Spielfilm

Katzelmacher


Erika Reimer-Haala, film-dienst, Nr. 52, 23.12.1969

Eine kahle weiße Wand, oder eine überbelichtete kalkweiße Hauswand mit einer Stange davor, auf der man zur Not sitzen kann; leere Zimmer mit den nötigsten, billig schäbigen Möbeln; eine Art Sackgasse, in der man auf und ab gehen kann. In diese Spielräume kommen und gehen Menschen, treten auf und wieder ab, hocken sich auf die Stange, stieren stumpfsinnig in die Gegend, reden manchmal etwas derb daher, spielen Karten oder betreiben Sex. Das schleppt sich endlos hin, bis endlich im letzten Drittel eine Art Handlung einsetzt. Da taucht ein Fremder auf, ein Gastarbeiter aus Griechenland, und stört diese jungen Leute in ihrem Nichtstun, ärgert sie, regt sie auf. Nicht durch irgend eine provokative Handlung etwa, sondern allein durch sein Da- und Sosein, das einbricht in ihre Phalanx kameradschaftlichen Besitzdenkens und ihre Arbeits- und Lebensverweigerung in Frage stellt, so daß er ein kollektiv-aggressives Reagieren auslöst: sie schlagen den Störenfried zusammen. Dann beruhigen sich die Wellen, alles geht weiter wie bisher.

Was sich an "Aussage" aus diesem ebenso leicht wie schwer entschlüsselbaren Werk destillieren läßt, ist ebenso treffend wie banal-oberflächlich, womit es genau der Geistigkeit aktueller Illustriertenreportagen mit ihren Halbwahrheiten entspricht. Da soll die Langeweile sichtbar gemacht werden, die sinnentleerte Öde, der geistlose Stumpfsinn einer "Jugend von heute", die kein Ich, keine Person mehr besitzt, daher nur in latent schwelenden Stereotypen denken und fühlen kann – wenn sie überhaupt denkt und fühlt. Und die gegen alles Störende mit Aggressionen und Intoleranz reagiert – wobei vor allem das Fremde, das Andersartige stört. Aber stimmen diese Behauptungen überhaupt? Stimmt dieses Bild für die Jugend auch nur Kontinentaleuropas oder gar nur Bayerns? Sicher: Der junge Autor und Regisseur Fassbinder arbeitet ganz bewußt mit Vereinfachungen, Abstraktionen, Stilisierungen, sowohl was das Geschehen wie die Figuren betrifft. Seinen Typen fehlen sowohl Individualität wie Allgemeingültigkeit. Aber Abstraktionen müssen auf Allgemeingültigkeiten beruhen, sonst sind sie pamphletäre Behauptungen. Die Behauptungen Fassbinders sind nun einfach nicht wahr. Man prüfe nur das Bild der Frau, das er bietet. Diese nach Hörigkeit geradezu lechzenden Sexualobjekte, die bestenfalls aus ihrer Wohnung oder ihrer Verweigerung Kapital zu schlagen gewillt sind, entsprechen in keiner Weise mehr dem Heer der selbstverdienenden, scheinemanzipierten Friseusen, Stenotypistinnen, Verkäuferinnen usw., die auf ihre Unabhängigkeit so stolz sind.

Diese aggressiv-bösartigen, geistig unausgegorenen, pauschalierend beleidigenden Behauptungen finden ihre Entsprechung in der bis zum Exzess abstrahierenden Form. Sie wird als Absicht und Stilprinzip ausgegeben – das Antitheater ist auf der Leinwand zum Antifilm gemacht –, doch scheint sie zumindest zur guten Hälfte auf gestalterisches Unvermögen und hochmütige Verachtung sowohl des Handwerks wie des Publikums zurückzugehen. Auflösung der Form kann ein echtes Stilprinzip und einer Aussage über zerbrechende Strukturen angemessen sein. Doch kann und darf Form nur dort aufgelöst und mißachtet werden, wo sie vorher beherrscht wird; wo sie also bewußt als Mittel der Ästhetik eingesetzt wird. Hier aber scheint sich die Formlosigkeit aus der Einfallslosigkeit zu ergeben. Möglich daß dieser Eindruck nur durch die Wahl der Darsteller geweckt wird, die freilich Antischauspieler sind, wie durch den weniger durch seine Derbheit als seine gekünstelte und gezwungene Primitivität des Bayerischen ärgernden Dialog. Sollte der Regisseur aber das Handwerk wirklich beherrschen, ohne sich hier damit abzumühen, dann muß ihm Verachtung des Publikums vorgeworfen werden. Doch "Publikumsbeschimpfungen" sind heute modern und finden jubelnden Beifall.

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