Coming out
Der Makel. "Coming out"
Es geht – zu schreiben: es ging, zögere ich – ein Gespenst um in unserem Lande, das Gespenst des Anders-Seins. Anders denken, anders lieben, anders aussehen. Das Sein bestimmt das Bewußtsein, anderes Sein hätte womöglich auch anderes Bewußtsein im Gefolge haben können. Das als wünschenswert geltende Bewußtsein stand in der Zeitung, das wünschenswerte Sein auch. Wo Makellosigkeit als erste Bürgerpflicht empfunden und verordnet ist, da wird ein jegliches anderes Sein sehr schnell zum Makel, da wird jegliche Minderheit – gleich, was sie konstituiert – sehr schnell suspekt. So entstand "Randgruppe" um "Randgruppe", bis es in der "Mitte" ziemlich einsam war. Damit hat wohl auch zu tun, daß Homosexualität schon lang nicht mehr kriminalisiert war, daß es so lang aber noch nicht her ist, daß die Schwulen und die Lesben "salonfähig" sind, daß sie in dem rein geputzten Ausstellungs-Salon unserer Medien auftreten durften. Das Bestürzende bei dieser Art Ausgrenzung liegt wohl darin, daß sie sich hier auf eine lang weiterwirkende Tradition "volkstümlicher" Ablehnung, auf verbreitetes "gesundes Volksempfinden" stützen konnten – und dies abzuschaffen, wird länger brauchen, als politische Strukturen zu ändern. Ich mag es eigentlich nicht, wenn über einen Krimi gesagt wird, er sei eigentlich gar keiner. So ist "Coming out" zunächst ein Schwulenfilm und albern wäre, zu sagen, er sei es nicht. Er ist darüber hinaus aber ein Film, der eine zentrale Frage unserer künftigen Gesellschaft tangiert, eine Frage, die entscheidend sein wird für die geistige und moralische Lebensqualität in diesem Lande, die Fähigkeit, das andere Sein anderer als ein Selbstverständliches zu nehmen: Demokratie ist die Herrschaft der wirklichen Mehrheit ohne Abschaffung der real existierenden Minderheiten. So ist "Coming out" der wichtigste DEFA-Film dieses Jahres zum rechten Zeitpunkt, nicht im konjunkturellen Trend entstanden, produziert gegen Widerstände. Und er ist eine Kunstleistung von hohen Graden, die belegt, daß Heiner Carows Ruf keine Legende ist, die von alten Filmen lebt. Wolfram Witt schrieb ein tragfähiges, wichtiges Buch, ohne das es diesen Film nicht geben würde, auch wenn am Ende der Regisseur und seine Schauspieler die Triumphatoren sind, aber auch Kino beginnt nun mal mit dem Text, die Erst-Erfindung der Figuren hat der Autor zu leisten. (…)