Die Sprungdeckeluhr
Die Sprungdeckeluhr
Roland Rust, film-dienst, Nr. 8, 16.4.1991
Allein auf sich gestellt bleiben die Geschwister Hansi und Rosi in der Wohnung zurück. Ohne von ihnen Abschied nehmen zu können, mußten die Eltern – der Vater ist "linker" Reichstagsabgeordneter – über Nacht vor der Gestapo fliehen. Tatsächlich erscheinen am nächsten Morgen zwei Geheimpolizisten und durchwühlen die Wohnung. Hansi gelingt es gerade noch, die Sprungdeckeluhr des Vaters zu verbergen. Fortan kreisen die Gedanken des Zwölfjährigen nur noch darum, wie die Uhr, in der eine geheime Nachricht versteckt sein soll, wieder in die Hände seines Vaters gelangen könnte. Doch lange müssen Hansi und seine zwei Jahre ältere Schwester Rosi auf ein Lebenszeichen der Eltern warten. Trotz der beiden Gestapoleute, die die Wohnung beschatten, gelingt es ihnen schließlich doch, die Taschenuhr dem inzwischen in einem Konzentrationslager internierten Vater zuzuspielen. Nach dessen geglückter Flucht händigt ihnen der Lagerkommandant die Uhr zwar wieder aus, jedoch wird Hansi jetzt in einem katholischen Waisenheim verwahrt und Rosi zu einem Krämer in die Lehre gegeben. Ein elterlicher Freund kann sie eben noch vor dem Zugriff der Gestapo retten und über die Grenze zur Schweiz schmuggeln. Als Hansi beim – wenn auch nur kurzen – Wiedersehen in Prag erfährt, daß die von ihm behütete Sprungdeckeluhr schon lange keine geheime Botschaft mehr berge, tröstet der Vater: "Keine Erfahrung ist umsonst".
So bieder linientreu, wie es das Sujet befürchten lassen könnte, ist Gunter Friedrichs Film nicht geraten. Kräftig wird das gängige (DEFA-)Klischee von der hehren "antifaschistischen" Gesinnung entstaubt (ohne freilich deren kaum weniger bedenkliche dogmatische Grundfesten anzutasten). Nach seinem Kino-Debüt "Unternehmen Geigenkasten" (1984) gelingt Friedrich wiederum ein solider Kinder-Krimi, der bis zur furiosen Verfolgungsjagd des Finales die Spannung wachzuhalten versteht. Die an sich tragische Geschichte aus schwerer Zeit wird aus dem Blickwinkel der Kinder erzählt und dadurch entschlackt. Aus heiter-vitaler Grundhaltung, mit der sich der Zuschauer identifiziert, erleben sie alles als Abenteuer, durch das sich als roter Faden das Geheimnis der Sprungdeckeluhr zieht. Die konträren Temperamente der beiden Kinder sorgen dabei für immer neue komödiantische Situationen. Etwa wenn der unbekümmert-draufgängerische Bruder und die kapriziös-altkluge Schwester das elterliche Familienleben imitieren und dabei zuerst des täglichen Menüs aus Maggisuppen – die ihnen die Mutter zuhauf hinterließ – überdrüssig werden.
Ebenso bemerkenswert ist die Zeichnung der untereinander konkurrierenden Gegenspieler, die bis ins Groteske geht, ohne deren Gefährlichkeit zu schmälern. Auch in den Nebensträngen ist der Film um Mehrschichtigkeit bemüht. Der Fluchthelfer, der sich am Ende opfert, wird als unsympathische Figur eingeführt; ein benachbarter Polizist ist es, der den Eltern zur Flucht riet; die Ordensschwestern, die mit dem Jungen recht barsch umspringen, schützen ihn genauso resolut vor den Verfolgern. Lediglich das (Helden-)Bild des klassenkämpferischen Vaters geriet allzu makellos-treuherzig. Ein – unnötiger – Schnitzer unterlief den Autoren in der deutlich ins Bild gerückten Lokalisierung des Geschehens in München, obgleich sämtliche Akteure Berliner Umgangston hören lassen. So frische Töne Friedrich auch anschlägt, am Ende lauert dennoch der propagandistische "Hammer", der den Zuschauer mit einem plump-pathetischen Nekrolog (der zudem das Schicksal der seit Mitte des Films völlig außer acht geratenen Mutter unterschlägt) zu übertölpeln sucht: "Er (der Vater; Anm. der Red.) fiel im Kampf gegen die Faschisten." Damit klammert sich der Film letztlich an einer dubiosen DEFA-Tradition fest, der unter den gewandelten politischen Verhältnissen und Produktionsbedingungen in der ehemaligen DDR eigentlich schon vor Drehbeginn (Anfang 1990) der Boden entzogen war.