Anam

Deutschland 2000/2001 Spielfilm

Anam

Eine türkische Putzfrau kämpft um ihren drogenabhängigen Sohn



Hans Schifferle, epd Film, Nr. 5, 29.04.2002


Es gibt eine Szene in Buket Alakus" "Anam", die ist typisch für den Film und sein Scheitern. Die türkische Putzfrau Anam fährt mit ihren zwei Kolleginnen Rita und Didi ins Rotlichtviertel, wo ihr drogenabhängiger Sohn Deniz vermutet wird. Anam, die traditionsbewusst lebt als türkische Ehefrau, will gar nicht aus dem Auto aussteigen beim Anblick all der leichten Mädchen. Die grelle, lustige Rita meint, sie solle sich nicht so haben. Und dann fügt sie einen Satz hinzu, der die Szene verdirbt. Ohne die Arbeit der Dirnen, sagt sie, gäbe es viel mehr Vergewaltigungen. Der Satz wirkt hier nicht nur naiv, was noch in Ordnung wäre. Er klingt unrealistisch in diesem Zusammenhang, belehrend und pseudo-feministisch.

Buket Alakus" Spielfilmdebüt ist der Versuch, die durchaus persönliche Geschichte einer in Hamburg lebenden 40-jährigen Türkin, die ein Schattendasein unter dem Kopftuch führt, mit Mitteln des Genre-Kinos zu erzählen: als Kombination aus komödiantischem weiblichen buddy movie und tragisch-realistischem Drogendrama.

Es beginnt also als Comedy. Wie Anam, die Mutter zweier Kinder, ihren Mann Mehmet beim Seitensprung mit einer zickigen Kollegin erwischt, wie sie später nach der Trennung von ihrem Mann die Anwesenheit einer aufdringlichen und gestrengen Verwandten erträgt, das wird mit einem gewissen Witz erzählt. Denn Anam stehen beim Meistern des Alltags und bei den ersten, zaghaften Versuchen in Sachen Befreiung und Emanzipation zwei Freundinnen bei, die Deutsche Rita und die Südafrikanerin Didi. Zusammen sind sie ein toughes weibliches Trio gegen alle Chancen.

Das Drama kommt hinzu, als Anam erfährt, dass ihr 20-jähriger Sohn Deniz schwer drogenabhängig ist und Vater Mehmet ihn längst aufgegeben hat. Im Kampf um ihren fast verlorenen Sohn zeigt Anam eine verborgene Stärke, die das Gehabe all der Machos von Mehmet bis zu Deniz" schmierigem Dealer bei weitem übertrifft. Bei der Suche nach Deniz lernt Anam auch Deniz" Freundin kennen, die ebenfalls süchtige Mandy. Anam nimmt Mandy zeitweilig bei sich auf. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Türkin und dem frechen Straßengirl, das zudem einen heftigen Entzug durchmacht. Doch schließlich bilden Anam und Mandy und die beiden Freundinnen und noch Anams skeptische Tochter Lela eine Art weiblich-multikulturelle Außenseiterfamilie. Am Ende steht Anam als unerschütterliche Kämpferin dem brutalen Dealer ihres Sohnes gegenüber: beinahe so wie Gloria in Cassavetes" gleichnamigem Film den Gangstern gegenüber tritt.


Alakus" Film wirkt modelhaft, allzu transparent in seinen Absichten. Die Figuren wollen trotz Nursel Köses differenziertem Spiel in der Rolle der Anam kein richtiges Eigenleben entwickeln. Sie bleiben oftmals Typen, Funktionsträger: der verständnislose Ehemann, die Drogensüchtige, der schurkische Dealer. So gerät der Film der jungen Regisseurin in die Nähe eines feelgood-Filmes mit ethnischem Touch und Problembewusstsein, wie er gerne auf Festivals gezeigt und auch bejubelt wird.

Es gibt aber auch einige Szenen in Alakus" "Anam", die das Korsett des Films gewissermaßen durchbrechen, sanfte, überraschende, wunderbare Szenen, die sich zwischen Anam und einem erstaunlich liebenswerten deutschen Polizisten, den Leonard Lansink darstellt, abspielen. In dieser zufälligen Beziehung der Sympathie, der Liebe vielleicht, die Alakus leicht und magisch inszeniert hat, kommt auch Anams Wesen richtig zu Geltung, diese Mischung aus kindlichen und altklugen Zügen, aus Scham und Power, aus Prüderie und heimlichem Sex Appeal. In diesen Momenten ist der Film Kino, das im Alltäglichen das Zauberhafte und Packende sieht.

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