Elefantenherz
Elefantenherz
Hans Schifferle, epd Film, Nr. 4, 26.03.2003
"Body and Soul", so heißt einer der besten Boxerfilme, inszeniert von Robert Rossen in den vierziger Jahren. Der schöne Titel beschreibt trefflich die Essenz des Subgenres, das zwischen Sport- und Kriminalfilm, Charakter- und Milieustudie schwankt. Im deutschen Film findet man es eher selten.
Das Seelenheil wird im Boxerfilm körperlich ausgefochten. Die Körper und Gesichter können zerschunden sein, doch die Seele, sie muss unangetastet, sie muss intakt bleiben. Body and Soul, diese Thematik von innerer und äußerer Bewegung, spricht Züli Aldag gleich zu Anfang seines ersten langen Filmes an. Man sieht den jungen Boxer Marko Stemper bei einem Amateurkampf. Er gewinnt den Fight auch überlegen. Und doch stimmt etwas nicht. Sein alter Trainer Ali weiß Bescheid: Marko kann seine Gefühle nicht beherrschen, er hat den Gegner nicht überlegend und überlegen besiegt, sondern bloß blindwütig zusammengeschlagen. Das muss der 18-Jährige im Laufe der Geschichte schmerzlich erfahren: dass es im Boxring und im Leben nicht so einfach zugeht, dass es nicht nur Gut und Böse gibt, dass einer, der gewinnt, nicht immer ein Sieger ist, und einer, der verliert, nicht immer ein Loser.
Aladag erzählt eine Story vom Erwachsenwerden. "Elefantenherz" ist so etwas wie ein filmischer Bildungsroman im Boxermilieu, inspiriert von den Genre- und Großstadtfilmen des französischen und amerikanischen Kinos. Die Bronx ist überall, in den Banlieus von Paris oder wie hier in der Tristesse einer Hochhaussiedlung am Rande Duisburgs. Mit ausgebleichten Farben beschreibt Kamerafrau Judith Kaufmann eine Atmosphäre der Trostlosigkeit. Und dabei zeigt sie auch eine Schönheit in dieser Stimmung, eine Verbundenheit zum Ruhrpott. Sie zeigt die verschütteten Möglichkeiten und das heimliche Potenzial in dieser Stadtlandschaft, die vielen Fehler und die letzten Chancen in den Gesichtern der Bewohner.
Das Gesicht des jungen Marko: es ist blass, meist verwundet von irgendeinem Kampf. Es wirkt manchmal so, als würde die Hoffnung, die auch darin liegt, einfrieren und absterben. Daniel Brühl spielt diesen Marko, seine Unsicherheit und Zerrissenheit beeindruckend. Die Mixtur aus Aggressivität und Empfindsamkeit, die wir aus seinen bisherigen Kinofilmen kennen ("Das weisse Rauschen", "Vaya con dios"), entwickelt er hier weiter: In der Rolle des Marko sucht er seinen Weg zwischen Unschuld und Erkenntnis, zwischen Disziplin und Wut. Daniel Brühl ist tatsächlich einer der wenigen, der die Schrader- und Scorsese-Typen, mit denen viele junge Filmemacher aufgewachsen sind, authentisch ins Deutsche übertragen kann. Das Boxen als Weg nach oben, als Weg aus der sozialen und psychischen Misere. Marko hat die Schule für das Boxen abgebrochen. Im Sport, so träumt der im Grunde sensible Junge (und sind nicht alle fiktiven Boxer sensible seit "Golden Boy?"), kann er auch die Familie hinter sich lassen, den arbeitslosen, trunksüchtigen Vater Axel vor allem, der die Mutter und die kleine Schwester nach Alkohlexzessen immer wieder terrorisiert.
Eines Tages wird Marko von Gerd Hermsbach beobachtet, einem dubiosen Geschäftsmann aus der Duisburger Halbwelt. Manfred Zapatka spielt ihn als kleinen Paten des Viertels, der einiges zu verbergen hat hinter seiner eiskalten Business-Fassade. Dieser so coole und großkotzige Unternehmer bietet Marko an, ihn auf eine Profi-Karriere vorzubereiten. Der Leiter von Hermsbachs eigenem Trainingslager wird übrigens von dem guten alten Mircea Krishan gespielt, den man noch aus Rudi Carrells Comedy-Truppe kennt. Er agiert hier geradezu wie die deutsche Version von Burt Young.
Marko lässt sich auf den Pakt mit Hermsbach ein. Er ist fasziniert von dessen Auftreten, dieser Mischung aus kühl-geschäftlichem Impetus und freundschaftlich-gönnerhafter Art. Er übersieht dabei vieles: die seltsame Rivalität, die zwischen seinem Vater und Hermsbach besteht. Und er sieht lange nicht, dass Hermsbachs Kaltblütigkeit nur eine innere Verzweiflung verbirgt. Denn der Mann der Deals kann schnell aus der Fassung geraten: wenn er beispielsweise von einem Fond-Manager, den der "Absolute Giganten"-Regisseur Sebastian Schipper lustvoll in einem Gastauftritt gibt, übers Ohr gehauen wird.
Marko muss einige Schläge einstecken, nicht nur im Ring. Beinahe verliert er seinen Jugendfreund Bülent, und der möglichen Liebe zu Sara gibt er gar keine Chance, zu sehr gefangen ist er in Hermsbachs Männerwelt. Der ferne Traum einer Karriere zerstört das Naheliegende. Der Showdown verlangt Markos ganze Beherrschung, die Einheit von body and soul.
Schön ist an Züli Aldags Film, dass er eine Geschichte erzählt, die so einfach ist und so kompliziert zugleich, wie ein Boxkampf. Jede Figur hat ihren Platz in dieser Story, jede ihre Schattierungen, Möglichkeiten, Geheimnisse, auch der gewalttätige Alex, auch der fiese Hermsbach. Keine Figur wird hier verraten und zum Agenten irgendeiner These. "Elefantenherz", ein kleines, sympathisches Werk, ist kein deutscher Film (wie "Nackt" oder auch "Halbe Treppe"), er ist deutsches Kino, wie es das – auch als Humus – viel zu wenig gibt.