Der Mond der Mineure
Der Mond der Mineure
Reinhard Lüke, film-dienst, Nr. 1, 01.01.2004
Bulldozer fahren in eine doppelläufige Tunnel-Röhre, Männer in Arbeitsanzügen stecken in einem Container-Büro die Köpfe zusammen und studieren Baupläne. Dann sieht man Wolken über ein Nebel verhangenes Mittelgebirge ziehen, und eine Stimme aus dem Off berichtet über den Tunnelbau am Berg Bock zwischen dem thüringischen Zella-Mehlis und dem bayerischen Suhl: Ein Teilstück des derzeit technisch aufwändigsten und teuersten Autobahnbaus auf deutschem Boden, hört man. Zu sehen bekommt man die gewaltigen Dimensionen des Projekts indes kaum. Lässt man den erläuternden Kommentar einmal beiseite, nimmt sich dieser Tunnelbau kaum anders aus als jede andere Durchlöcherung eines Gebirges. Da gibt es die spezialisierten Arbeiter verschiedener Nationen, Mineure genannt, die im ein Jahr währenden Schichtbetrieb von Norden und von Süden den Vortrieb durch den Berg treiben. Vom Filmemacher über ihr Tun befragt, erzählen sie von der schweren Arbeit, den Entbehrungen des Lebens auf Montage fernab der Familie, aber auch vom Stolz, ein Mineur zu sein. Zwischendurch kommen leitende Angestellte, Ingenieure, darunter auch Frauen zu Wort, die ihrerseits ihr Tun beschreiben. Hier stimmt mal was mit der Planung nicht, da fehlt es am Material, dort klagt ein Sprengmeister, dass er nur bis 20 Uhr Sprengungen vornehmen dürfe, weil die Anwohner das so durchgesetzt hätten. Womit nicht sonderlich elegant der zweite Erzählstrang dieses Dokumentarfilms eingeführt wird.
Menschen, deren Alltag durch die Bauarbeiten massiv beeinträchtigt wird, und andere, deren einst idyllisch gelegenes Dorf namens Heinrichs demnächst unter einer Autobahnbrücke liegen wird, die im Zuge der Bauarbeiten ebenfalls noch errichtet werden soll. Einige trifft es besonders hart: Ihre Häuschen werden den Pfeilern der Brücke weichen müssen. Im schlichten Wechselschnitt wird nun die Situation der Mineure mit dem Anliegen einer kleinen Bürgerinitiative verbunden, deren Mitglieder noch immer hoffen, das Unheil abwenden zu können. Dabei bewegt sich die Erzählhaltung zwischen Technik-Faszination für die gigantischen Bohrmaschinen und merklicher Sympathie für die Nöte der betroffenen Dörfler, ohne dabei die Interessen der Arbeiter ("Ich arbeite für den Lebensstandard meiner Kinder") zu desavouieren. Das alles ist so redlich wie unspektakulär ins Bild gesetzt, wobei man derartige Projekte und die damit einhergehenden Konflikte schon mehrfach in dokumentarischen Langzeitbeobachtungen gesehen hat. Und das weit origineller aufbereitet, als es hier der Fall ist. Vor allem gelingt es Autor und Regisseur Bernd Bajog nicht, die gut 20 Menschen, die im Laufe des Films immer wieder in Erscheinung treten, so zu zeichnen, dass man als Zuschauer auch nur zu einigen von ihnen eine besondere Beziehung entwickeln könnte. Bisweilen sind auch die Fragen, die aus dem Off zu hören sind, kaum dazu angetan, die Menschen aus der Reserve zu locken. Von einer Ingenieurin will Bajog wissen, ob es sie stört, wenn ihr die Arbeiter nachpfeifen (stört sie nicht), von Eigenheimbesitzern, ob das "sowas wie ein Zuhause" ist (ist es) und wenn ihm gar nichts mehr einfällt, fragt er die Runde der Arbeiter: "Wollen Sie noch was sagen?" (wollen sie nicht). Ein redlicher, aber besser gemeinter als gemachter Dokumentarfilm, der mit Hilfe von Fernsehgeldern gedreht wurde und auf einer Kinoleinwand eigentlich herzlich wenig verloren hat.