Tattoo
Die süße Haut
Daniela Sannwald, Frankfurter Rundschau, 09.04.2002
"Haut" heißt eine besonders gruselige Kurzgeschichte von Roald Dahl; sie spielt im Paris der Nachkriegszeit und geht ungefähr so: Zum Dank für die immer wieder gewährte materielle Unterstützung tätowiert ein mittel- und erfolgloser Maler seinem besten Freund ein Bild auf den Rücken. Die Männer verlieren sich aus den Augen, der Maler erlebt einen kometenhaften Aufstieg und irgendwann, ein paar Jahre später, taucht jenes Werk auf dem Kunstmarkt auf. Das vage Ende lässt Raum für die scheußlichsten Phantasien; und genau darum vergisst man sie nicht.
"Tattoo", geschrieben und inszeniert von Robert Schwentke, der bisher Drehbücher für Fernseh-Krimis verfasst hat, wirkt wie ein reichlich später, um einige Varianten ergänzter Versuch, die Dahl"sche Story für das Kino zu adaptieren. Außerdem sollte offenbar wieder einmal probiert werden, einen deutschen Genrefilm zu produzieren; man fühlt sich gelegentlich ans Serienkiller-, dann wieder ans Polizei-Genre erinnert; ganz deutlich sind ästhetische und thematische Anklänge an Filme wie "Blue Steel" und vor allem "Se7en".
In der beliebten Konstellation des alten, zynischen Bullen und des renitenten, aber begabten Anfängers verfolgen Christian Redl und August Diehl als Minks und Schrader einen Mörder, der seine durchweg kunstvoll tätowierten Opfer an den entsprechenden Stellen häutet und die präparierten Beutestücke auf einem ganz besonderen Markt verschachert. Sie kommen einer Serie von Morden auf die Spur und stellen fest, dass die Tätowierungen sämtlich von einem ganz bestimmten japanischen Künstler stammen. Schließlich begegnen sie einer Galeristin (Nadeshda Brennicke), die als dessen ehemalige Geliebte auch sein Meisterwerk verkörpert. Angesichts der Skrupellosigkeit des unauffindbaren Mörders und des Vorhabens der Polizisten, sie dem Gesuchten als Köder anzubieten, scheinen ihre Überlebenschancen freilich gering.
Wenn man es ein bisschen prätentiös mag, dann kann man Gefallen finden an der konsequent schmuddeligen Grün-Grau-Braun-Stichigkeit des Films, mit der es Kameramann Jan Fehse so genau nimmt, dass selbst das Essen, das Schrader von seiner Freundin serviert bekommt, einem Tümpel mit Entengrütze entnommen zu sein scheint. Drehorte wie Techno-Clubs, Parkdecks, die Kanalisation und alle möglichen Unterführungen scheinen diese diffuse Farbgebung geradezu herauszufordern, denn man kann, wie es David Finchers so großartig in "Se7en" vorgemacht hat, schön mit Hilfe von Taschenlampen darin herumstochern, ohne richtig Licht ins Dunkel zu bringen. Außerdem schätzt man vielleicht die so sehr um Anonymisierung bemühten Berlin-Perspektiven, die schräg in den Himmel hineinragende Plattenbauten zeigen und ansonsten sehr viel Beton im Herbstregen. Denn es regnet fast pausenlos in diesem Film – das ist den (Großstadt-)Dschungel- und Sumpf-Metaphern genauso geschuldet wie dem weißen, körpernahen Kleid der Galeristin: Im Nu durchnässt, lässt es die flächendeckenden Tätowierungen der Trägerin erkennen und den jungen Mann um Fassung ringen. Auf dem bleichen, ungläubigen Gesicht Schraders verharrt die Kamera immer wieder – es sind die vielleicht eindringlichsten Einstellungen des Films.
Ist ein Regisseur derart wild zur Filmkunst entschlossenen wie Robert Schwentke und scheitert doch, so attestiert man wenigstens gern Stilwillen. Das ist ja vielleicht auch in Ordnung bei einem Debütfilm, dem immerhin gelegentlich erstaunliche und überraschende Effekte gelingen. Aber warum muss ein deutscher Kriminalfilm unbedingt solche haarsträubenden Klischees verwenden wie den blutenden, Augen rollenden Junkie in der U-Bahn-Toilette, die mit Designerdrogen handelnde Club-Szene, in der Schraders Freundin als D-Jane arbeitet, den neidischen, schmallippigen Kollegen mit der schneidenden Stimme, die ältere, verständnislose Polizeichefin (Monica Bleibtreu)? Warum muss der Hauptbösewicht von dem im frankophonen Kino besser bekannten und durchaus versierten belgischen Schauspieler Johan Leysen dargestellt werden und daher mit schwerem Akzent Anzüglich-Geschmäcklerisches von sich geben? Warum muss der Polizist Minks seinen Ehering wieder überstreifen, bevor er eine endgültige Entscheidung trifft? Und warum, um Himmels Willen, neigen auch so erfahrene deutsche Schauspieler wie Christian Redl oder Monica Bleibtreu noch immer dazu, ihre Dialogpassagen aufzusagen, anstatt sie einfach zu sprechen?
Vielleicht, weil ein "Tatort" eben kein Genrefilm ist und auch eine Grimme-Preis-Nominierung für ein Serienkrimi-Script keinerlei Rückschlüsse auf die inszenatorischen Fähigkeiten des auf diese Weise gewürdigten Drehbuchautors zulässt. Denn solange Dialoge wie "Der Verdächtige hält sich im Parkhaus auf ..." – "Dann fahren wir mal eben da hin! " den deutschen Krimi dominieren, wird er trotz aller und im Fall von "Tattoo" wortreich reklamierten Exportreife international nicht reüssieren können. Diese Art von bis in die Schilderung von Subkulturen hinein reichender deutscher Behäbigkeit wird man vielleicht gerade noch in den Niederlanden und im südlichen Dänemark verständnisvoll rezipieren, aber auch nur dann, wenn gerade ein Mal kein mittelmäßiger amerikanischer Genrefilm läuft. Und das wäre äußerst unwahrscheinlich.
© Daniela Sannwald