Herbstmilch
Herbstmilch
Marli Feldvoß, epd Film, Nr.2, Februar 1989
Lauthals erzählen die Farben von ihrer Zeit: Braun, geschmückt mit Schwarz-Weiß-Rot. Vom Himmel regnet es Flugblätter, und das Horst-Wessel-Lied gibt den Ton an. Lautes Getön und buntes Getümmel erschlagen die zarte Liebesgeschichte, die sich gerade erst anbahnt. Anna und Albert lernen sich an diesem 1. Mai 1938 kennen; einen Sommer später heiraten sie; kurz darauf wird Albert schon eingezogen, der erste aus der Gegend für lange Zeit, weil er und seine Familie nicht zu den Hundertprozentigen gehören.
Aber eigentlich geht es gar nicht um Albert, sondern um Anna. Sie, die Bäuerin Anna Wimschneider, hat sich eines Tages einfach hingesetzt und für ihre Enkelin ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. "Herbstmilch" wurde ein Bestseller. Der Regieneuling und langjährige Kameramann Joseph Vilsmaier holte sich den durch "Heimat" bekannt gewordenen Drehbuchautoren Peter Steinbach, um die niederbayerischen Lebenserinnerungen in ein Drehbuch zu verwandeln. Herausgekommen ist, wie immer, etwas ganz anderes.
"Wenn ich noch einmal zur Welt käme, eine Bäuerin würde ich nicht mehr werden", beschließt Anna Wimschneider ihr Buch aus heutiger Sicht. Der Film endet bereits 1944 mit einem ausgelassenen Tanz auf dem Bauernhof. Gerade ist der Angriff eines Tieffliegers vorüber, der beinahe alle umgebracht hätte, gerade ist ihr Mann schwerverletzt aus dem Krieg heimgekehrt. Hier geht einfach vieles viel zu schnell. Auch im Film brauchen die Dinge ihre Zeit, um glaubhaft zu sein. Es fehlt die Geduld, die notwendig ist, um dieses ärmliche Leben zu ertragen, die Geduld, sich einmal die Gesichter anzusehen, in ihnen den Widerschein dieser Mühsal aufzuspüren. Dafür sind sie vielleicht auch zu schön. Schaut man das Foto der heute 69jährigen Anna an, blickt eine selbstsichere abgearbeitete Bäuerin aus verschmitzten Augen zurück. Bauernschläue und ein Stück mehr, Weisheit. So ein Gesicht hätte man sich auch auf der Leinwand gewünscht. Sie darf aber nur kurz die Rahmenhandlung bestreiten, man erkennt sie kaum.
Vielleicht hat ja die ungelenke, dialektgeprägte, sehr direkte, eigenwillige Sprache der Anna Wimschneider zu solchen Vergröberungen verleitet. Wo die Feste zu bunt sind und der Kreisleiter zu laut ist, versinken die Rückblenden in die Kindheit der 8jährigen in erdige Brauntöne und goldschimmerndes Licht. Nach dem frühen Tod der Mutter muß die kleine Anna die neunköpfige Familie allein versorgen. Allzu idyllische bäuerliche Genreszenen bestimmen jetzt das Bild. Man hätte sich das sorgfältiger gewünscht, mit weniger Großaufnahmen auf gefaltete, sich drückende oder zueinanderfindende Hände. Der originellen Erzählweise entspricht diese einfache Fernsehdramaturgie nicht, sie bebildert nur, was in der holprigen Sprache noch seine Eigentümlichkeit, vor allem auch seinen Witz behält. Stimmungen wachsen lassen – manchmal gelingt es, am ehesten noch in der Anbandelzeit mit Albert. Später fehlt auch hier wieder die Zeit für das ethnographische Detail in den täglichen Verrichtungen, die geradezu mittelalterlich anmuten. Moderne Geräte hatten damals im Dritten Reich nur die größeren Bauern. Annas Familie besaß nicht einmal eine Mähmaschine, und den Pflug drückt die junge Frau selbst durch die schwere Erde.
Anna Wimschneider ist eine von denen, die ihre Heimat nie verlassen haben. Sie erzählt aus eigener Erfahrung. Sie ist ihre eigene Chronistin und Zeugin einer Zeit, die von Armut, Not und Unterdrückung geprägt ist. Und so lange ist das gar nicht her. Im Bemühen, dieses Stück Erinnerung festzuhalten und damit auch ein Stück deutsche Geschichte sichtbar zu machen, zählt "Herbstmilch" deshalb durchaus zu den neuen Heimatfilmen, die der Heimattümelei abgeschworen haben. Regisseur Vilsmaier schließt sich zwar auch dem versöhnlichen Ton an, der schon Edgar Reitz" "Heimat"-Epos geprägt hat, vermeidet aber ebenso, und das ganz im Sinne von Anna Wimschneiders Dokument, die Glorifizierung einer schweren Zeit. Daß Joseph Vilsmaier hier auch eigene Bedürfnisse nach Aufarbeitung von Heimat einbringen wollte, den Blick der nächsten Generation, bleibt eher undeutlich. Vielleicht hat er dieses große Thema doch zu früh angesteuert.