Spione
Spione
Hans Wollenberg, Lichtbild-Bühne, Nr. 72, 23.3.1928
Im Anfang war die Spannung. Beim Kino – und wahrscheinlich im Anfang aller Kunst überhaupt. Dann haben wir (hoffentlich vorübergehend) das Stoffliche, den Inhalt über der Form – ehrlich gesagt – lange vernachlässigt. Wir entdeckten erst nachträglich, allmählich die technischen Gesetze der Manuskript- und Kamera-Ästhetik. Das war ein enormer Fortschritt. Aber er brachte eine Reaktion. Im Frohgefühl der Erkenntnis überschätzte man lange ganz einseitig das "Wie" über dem "Was" – die Künste des Ausdrucks (Einstellung, Montage usw.) über dem Auszudrückenden: dem Inhalt, dem Stoff.
Zu diesen grundsätzlichen Betrachtungen nötigt Fritz Langs Film. Denn er ist, nach langer, langer Pause, der erste deutsche Spannungsfilm, der über die Leinwand rollt. Hier ist die Synthese von starkem, stärkstem Stoff mit moderner, modernster Ausdrucksgebung versucht. Eine glückliche Synthese, bei der Fritz Lang an die Traditionen seines eigenen, unvergeßlichen "Mabuse" und gewisser großer Joe-May-Filme anknüpft. Hoffen wir, daß dieses Sujet eine Renaissance des echten, rechten Spannungsfilms, des mit anständigen künstlerischen Mitteln gemachten Spannungsfilms in der deutschen Produktion einläutet. Gebt dem Kino, was des Kinos, und der Kunst, was der Kunst ist!
Diese Mahnung gilt nicht zuletzt jenen im innersten filmfremden Literaten, die die von Thea von Harbou erfundene Handlung "kitschig" nennen werden, weil sie aus starker epischer Phantasie schöpft, ganz auf das optische Spannungsbedürfnis abgestellt ist und eine mit äußeren (also visuellen, also filmmäßigen!) Knalleffekten aufgepulverte Fabel handfest und wirkungsbewußt hingestellt hat. Wenn wir dieses packende Manuskript durchaus anerkennen, so geschieht dies mit einer leichten Einschränkung. Die Fäden laufen nicht immer klar genug. Es ist der selbständigen Kombinationsgabe des "Mannes von der Straße" mehr überlassen, als das Wesen des rasch vorüberrollenden Films es gestattet. Selbst dem filmgewohnten Fachkritiker gelang es beispielsweise erst im zweiten Teil des Films (nach der Pause) die Gestalt der "Nr. 326", also Willy Fritsch, richtig als das in die Handlung einzuordnen, was sie ist, als Detektiv. (...)
Fritz Lang hat dieses Geschehnis in einem hinreißendem Tempo inszeniert. Ruhigere Stellen, die der psychologischen Vertiefung und der Untermalung der Atmosphäre dienen (wie die entzückende Abschiedsszene zwischen dem Detektiv und Sonja nach dem ersten Stelldichein) und die wirbelnden knallenden Effekte sind rhythmisch gut zueinander abgewogen. Im Anfang ist das Tempo vielleicht sogar zu sehr forciert, so daß man sich zunächst schwer hinein- und zurechtfindet. Ungewöhnliche Bildwirkungen sind dem Regisseur mehrfach ganz einzigartig gelungen; so der Übergang des Boxkampfes in Tanz, oder die Umgarnung und das Ende Masimotos durch Harakiri, oder die Aushebung des Haghi-Bankhauses und manches andere – vor allem aber die geradezu grandiose, an den Nerven reißende Eisenbahnkatastrophe mit der anschließenden Autoverfolgung.
Der darstellerische Höhepunkt liegt nicht bei der eigentlich zentralen Gestalt Haghis. Rudolf Klein-Rogge ist immer noch viel zu sehr Spielastiker, um einen dämonischen Mann, um einen Menschen überhaupt überzeugend zu verlebendigen. Hervorragend ist Willy Fritsch in der Detektivrolle, die ihn aus der gewohnten Operettenspielerei heraushebt, ein Kabinettstück gibt Lupu Pick als Masimoto, ein Meisterwerk gezügelter und durch ihre Sparsamkeit packender Darstellungskunst. Zwei neue Frauen stellt Fritz Lang uns vor; die leicht slawische Schönheit Gerda Maurus (als Sonja) ist gut, besser noch ist Lien Deyers in der kleineren, aber diffizileren Rolle der Kitty. Eine sehr bemerkenswerte Leistung! Ein guter, nur etwas forcierter Charakter-Komiker ist Craighall Sherry als Polizeichef (...).