Rennschwein Rudi Rüssel
Rennschwein Rudi Rüssel
Horst Peter Koll, film-dienst, Nr.7, 28.03.1995
Familie Gützkow lebt ein ganz und gar normales Leben, und ihr Alltag kommt einem mit all den kleinen Wehwehchen, Konflikten und Reibereien recht vertraut vor. Vater Heinrich ist promovierter Ägyptologe, arbeitslos und hoffend, daß ihm sein Antrag auf eine wichtige Forschungsreise bewilligt wird, die Einkommen und Renommee verspricht. Mutter Almut arbeitet als Lehrerin in der Erwachsenenbildung und muß mit ihrer resoluten Art manche Schrulligkeit ihres liebenswert-spleenigen Mannes ausgleichen. Sie hält den Haushalt zusammen und organisiert auch das Leben der drei Kinder Betty, 14 Jahre alt, Zuppi, neun Jahre, und des fünfjährigen Tobi. Bei einem Ausflug aufs Land gewinnt die Stadtfamilie bei einem Volksfest einen Preis, der ihr Leben in heftige Turbulenzen stürzt: ein putziges Ferkel, das bald auf den Namen Rudi Rüssel getauft wird. Der Vater mag sich noch so sehr wehren, bald gehört Rudi zum festen Inventar des Haushalts, von den Kindern gehegt und gepflegt, von den Eltern zunächst geduldet, dann mit zusammengebissenen Zähnen toleriert, schließlich aber akzeptiert und geliebt. Als Rudi einen Dieb in die Flucht schlägt, erfährt der gestrenge Hausbesitzer von der Anwesenheit des Tieres und kündigt den Gützkows fristlos. Ein neues Heim findet man auf einem Sportplatz, wo der Vater nebenbei als Sportwart tätig wird, während die Lebenssituation die Mutter immer mehr belastet und sie vorübergehend sogar auszieht. Derweil wächst und gedeiht Rudi, gewinnt gar ein Schweine-Rennen und kittet die Familie schließlich wieder zusammen. Daß das Tier dann letztlich im Schlachthof landet und nur unter wagemutigstem Einsatz der Gützkows befreit werden kann, ist noch immer nicht ganz das Ende dieser sehr turbulenten Schweine-Geschichte.
"Freiheit für die Ferkel", singen die Kinder zum Nachspann, und ein bißchen Anarchie, zumindest aber fröhliche Ausgelassenheit, die sich über die Vernunft des wirklichen Daseins hinwegsetzt und Fantasie und vergnügter Fabulierlust den Vorrang einräumt, prägt den gesamten Familienfilm. Die episodische Erzählstruktur setzt auf Momenteinfälle, skurrile Komik und Gags, wobei geschickt Tempo und Stimmungen variiert werden. Dabei entsteht zwar keine große inszenatorische Dichte, stellen sich auch manche Längen ein, bevor die Ereignisse zum großen Finale gar die Ausmaße eines aktionsreichen "Schweine-Thrillers" annehmen, der die Kulisse eines Schweine-Schlachthofs für eine (für kleinere Zuschauer) fast schon etwas zu bedrohliche Action-Handlung nutzt.
Vor allem aber dank der ausgesprochen professionellen Inszenierung, die die Geschichte formal jederzeit ernstnimmt (und gelegentlich sogar die Kamera aus der "Schweine-Perspektive" filmen läßt), fühlt man sich stets gut unterhalten. Einen Glücksgriff tat Peter Timm mit der Besetzung "seiner" Familie Gützkow: Iris Berben als charmante Mutter voller Herzenswärme, Ulrich Mühe als tapsiger Vater sowie die drei putzmunteren Kinder ergänzen sich zu einem äußerst sympathischen Team, dessen Kino-Familie durchaus das Zeug zu einer utopischen Daseinsgemeinschaft hat, nach der man sich sehnen und nach der man streben kann. Daß solche Idylle nicht ganz ohne Abziehbilder auskommt, die von Ferne an einschlägige Szenen aus Werbespots für Margarine, Nuß-Nougat-Brotaufstrich und Sonntagsbrötchen aus der Tiefkühltruhe erinnern, liegt womöglich in der "Natur der Dinge", prägen solche Bilder doch mittlerweile den Alltag von Kindern und Jugendlichen mehr als die eigene Erlebniswelt und gehören einfach zur Identifikationsbereitschaft.