Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow

DDR 1972/1973 Spielfilm

Die Genossen werden rot, doch Herr K. erbleicht




Heinz Kersten, Frankfurter Rundschau, 26.7.1973



(…) Im Mittelpunkt von Babelsberger Produktionen, die in der Gegenwart des eigenen Landes angesiedelt waren, standen eher Ingenieure, Werkleiter, Lehrer, Ärzte oder Künstler, die sich vorzugsweise in gepflegten Interieurs schicker Neubauwohnungen bewegten. Erst in letzter Zeit beginnt die DEFA, daß einfache Leben zu entdecken. Horst Seemann machte im vergangenen Jahr mit "Reife Kirschen" den Anfang und zeichnete, wenn auch noch in herkömmlichem Rahmen, das Porträt einer Arbeiterfamilie. Bei Ulrich Plenzdorf und Heiner Carow wurde dann eine kleine HO-Verkäuferin zur Protagoni­stin der "Legende von Paul und Paula"; Held der jetzt von Helmut Baierl und Siegfried Kühn in "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow" erzählten Geschichte ist ein alter Eisenbahner. Beide Filme zeigen zudem nicht nur die Schokoladenseite der DDR, sondern ebenso Relikte der Vergangenheit, auf die man nicht nur im äußeren Bild der Städte, sondern auch im Bewußtsein der Menschen noch trifft.

Neu ist in den Arbeiten der Regisseure Carow und Kühn aber vor allem das Experimentieren mit unkonventionellen Formen, eine stilistische Überhöhung der Realität, die die erzählten Geschichten ins Gleichnishafte erhebt, durch spielerische Elemente das Vergnügen steigert und die Phantasie des Zuschauers anregt.

Die 9. Tagung des ZK der SED Ende Mai konstatierte "Mängel und Unzulänglichkeiten einiger neuer Werke, besonders der Film- und Theaterkunst". Ungünstige Folgen hatte diese Plenumsrüge für die DEFA-Arbeit des bekannten DDR-Dramatikers Helmut Baierl "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow". Ihre für Ende Mai vorgesehene Premiere in einem großen Ostberliner Uraufführungskino wurde kurzfristig abgesetzt und erst sechs Wochen später im kleinen Filmkunsttheater Studio CAMERA ohne öffentliches Aufheben nachgeholt. (…)




Mit erfrischender Unbekümmertheit durchbricht der Film eingefahrene Schemata bei der Darstellung positiver Helden und Volksgestalten, verbindet Komisches mit Tragischem und erfaßt so die ganze Komplexität des Lebens, wobei Wirklichkeit freilich stets in künstlerischer Stilisierung erscheint. Dem dient auch eine überlegte Farbdramaturgie, die Stimmungswerten entspricht: Nüchterne Alltags-Tristesse wird in grauen Schwarzweiß-Tönen reflektiert, während die überwiegenden

Farbsequenzen Phantasie und optimistisches Lebensgefühl ausdrücken.
Die Weiterentwicklung sowjetischer Stummfilmtraditionen ist in diesem Film ebenso im Spiele wie eine sehr brechtische Art theatralischen Denkvergnügens. Nicht umsonst hat Szenarist Helmut Baierl, dessen Stücke "Frau Flinz" und "Johanna von Döbeln" in Aufführungen des Berliner Ensembles allgemein Beachtung fanden, noch bei Brecht gelernt und inszenierte Regisseur Siegfried Kühn während seiner Studienzeit an der Moskauer Filmhochschule an einer dortigen Studentenbühne den "Arturo Ui". Schon sein an den Prinzipien eines "dokumentarischen Realismus" ausgerichtetes DEFA-Debüt "Im Spannungsfeld" und die folgende DDR-Romanverfilmung "Zeit der Störche" wiesen Kühn als vielversprechendes Cineasten-Talent aus. Erst "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow" aber wurde in den Augen des jungen Regisseurs eine Arbeit, zu der er sich voll bekennt. Dabei verdankt er nicht wenig seinem Hauptdarsteller Fritz Marquardt, der genau die grüblerische Naivität der Figur des Platow trifft und auch ihre Wandlung glaubhaft zu machen versteht. (…)

© Heinz Kersten

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