Aprilkinder
Aprilkinder
Stefan Reinecke, epd Film, Nr. 2, Februar 1999
In Deutschland entwickelt sich zaghaft, aber unübersehbar ein neues Genre: populäres Migrantenkino. Eine erfreuliche Entwicklung: das Genre befreit sich langsam aus dem Ghetto des Sozialkritischen. Vor 15 Jahren tauchten Einwanderer meistens in Problemfilmen auf; Sozialarbeiter bevölkerten die Szene, und gern wurden Geschichten erzählt, in denen die Einwanderer in der kalten, abweisenden Fremde rundweg scheiterten. Daß neuerdings auch jugendliche Gangster aus Einwanderermilieus (wie etwa in Lars Beckers "Schattenboxer") oder türkische Detektive (wie in "Happy Birthday, Türke") Eingang in dieses Genre fanden, kann man getrost als gutes Zeichen werten. An die Stelle eines besorgten, paternalistischen Blicks auf die ewigen Opfer rückt langsam die Selbstinszenierung der Einwanderer, die einfach mehr Normalität verlangen.
Aprilkinder von Yüksel Yavuz ist in mehrfacher Hinsicht eine Art Zwitter: Er ist gleichermaßen populär und kinotauglich wie anspruchsvoll problembewußt (und vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF coproduziert), eine Milieustudie über die kulturellen Gräben zwischen den Einwanderern und ihren Kindern – und ein street-gang-Film.
Es geht um eine kurdische Familie in Hamburg. Der Vater ist stumm und ewig krank, die Mutter umsorgt die Kinder (deren Deutsch sie nicht versteht) mit jener erdrückenden Fürsorge, die fast allen türkischen (und kurdischen) Müttern in deutschen Filmen zu eigen ist. Cem, der älteste Sohn, schuftet in einer Wurstfabrik und tut, was die Eltern sagen. Mehmet ist das Gegenteil, ein Kleindealer, der nicht arbeiten will, voll Verachtung für seinen Bruder und voller Bewunderung für Onkel Palla, einen kriminellen Nachtclubbesitzer. Eines Tages fährt er mit einem protzigen blauen Mercedes vor. Zwei Rollenmodelle, zwei Prototypen: Integration in eine miese deutsche Realität versus kriminelle Rebellion.
Diese recht holzschnitthafte Anlage stört in Appilkinder freilich wenig, denn das Typische wird vom Gespür für Authentisches überdeckt. Vor allem der Dauerzwist in der Familie zwischen Cem, Mehmet und Dilan, der still protestierenden Tochter, und die hilflosen Versuche der Mutter zu schlichten, verraten einen genauen Blick für Alltagsdinge, der alles Reißbretthafte zum Verschwinden bringt. Die dokumentarisch anmutende Inszenierung, der Ton von Mehmets Straßen-Slang und das deutsch-kurdische Sprachendurcheinander am Küchentisch schützen den Film vor dem Klischee.
Im Zentrum steht die seltsame Verwandlung des braven Cem. Cem (von Erdal Yildiz mit nachdrücklicher Schüchternheit gespielt) verliebt sich, zufällig und ohne eigenes Zutun, in Kim, eine deutsche Prostituierte. Ganz langsam, zart und mit wenigen Worten geschieht diese Annäherung. In dieser Liebe ist nichts Edles und kein hoher Ton. Sie fällt nicht vom Himmel, sie entsteht aus der irdischen Freude, jemanden gefunden zu haben, der einen aus der Alltagsbanalität erlöst. Cem und Kim ergeht es wie den beiden Königskindern, die nicht zueinander kommen konnten. Denn Cem soll eine Cousine aus Kurdistan heiraten. Die Mutter hat das Doppelbett schon ausgesucht. Diese ganz unwahrscheinliche Liebesgeschichte verwandelt die Milieustudie in ein soziales Märchen – wie ein Kaurismäki-Film, so wie vielleicht jeder soziale Realismus stets auch ein Märchen ist.
Aprilkinder ist nicht perfekt. Manches daran, etwa die Laiendarsteller oder die aufregend unauffällige Kamera, wirkt charmant, anderes, meist Dramaturgisches, ungelenk: Wer wem warum Drogen oder Geld zusteckt, ist nicht immer einsichtig. Die sich anbahnende Liebelei zwischen Dilan und Mehmets Kumpel Arif, die der Bruder mißtrauisch beäugt und in der sich die unmögliche Liebesgeschichte im Zentrum spiegeln soll, verliert sich im Nichts. Als hätten die Drehbuchautoren sie vergessen. Das ist schade, zumal Senem Tepe (die erstmals vor der Kamera stand) die Unbeholfenheit dieser ersten Liaison mit hinreißender, bockiger Sprachlosigkeit zu spielen versteht.
Am Ende sehen wir in Slowmotion und mit Handkamera gefilmte Bilder von Cems Hochzeit. Der Ton ist verzerrt, das Fest eine Farce, das bittere Eingeständnis, daß es ein Leben gegen die Tradition nicht gibt. In diesem ästhetisch so sparsamen Film wirkt diese Szenerie wie ein böser Rausch. "Aprilkinder" ist ein kleiner, präziser, rauher Film. Was man von vielen deutschen Filmen derzeit nicht sagen kann.