Käpt'n Blaubär - Der Film

Deutschland 1999 Animationsfilm

Käpt"n Blaubär - Der Film


Daniel Kothenschulte, film-dienst, Nr.26, 21.12.1999

Die Bärchen sind die Lügen leid. Wieder einmal ist eine Folge von „Käpt’n Blaubär“ im Fernsehen zu Ende gegangen, in der der kühne Seebär seinem Erzrivalen, dem Schurken Feinfinger, das Leben schwer machte. Doch wer will das noch glauben? Der echte Blaubär, wie man ihn jetzt im Kino kennen lernen kann, ist eine gemütliche, aber durchaus schon in die Jahre gekommene Zeichentrickfigur. Seine drei Enkel freilich sind Kids von heute und besonders kritische und aufgeweckte Exemplare. Tja, da hat der Opa wohl wieder ein paar seiner Lügengeschichten in die Drehbücher geschummelt. Aber die Kleinen sind keine Un-Bärchen, auch wenn sie ihren Opa in bitterste Depressionen stürzen. Sie wissen, dass dessen bester Freund Hein zwar blöd, aber ein glänzender Koch ist und ein Abendessen die Stimmung stets gehörig verbessert. Danach sind sie sogar wieder bereit für eine weitere Gute-Nacht-Geschichte.

Wie bei James Bond stürzt Walter Moers’ hinreißend geschriebenes Drehbuch den Zuschauer zunächst einmal in Geschichten, die einen wenig angehen. Immerhin erfährt man in der Gute-Nacht-Geschichte etwas über die gemeinsame Kindheit von Blaubär und Feinfinger, bis Letzterer zur Superschurken-Schule wechselte, wo er hässliche Dinge lernte, wie verrückt zu lachen und Weltherrschaftspläne zu schmieden. Gelangweilt schlafen die Bärchen ein. Schreck in der Morgenstunde: Das Hausboot der Blaubärs dümpelt auf offener See, noch dazu im kapitalistischen Ozean, gefährliche Immobilienhaie machen sich über den armen Hein Blöd her. Erst als sich der Käpt’n von der Besitzurkunde seines Hauses am Starnberger See mit unverbaubarem Alpenblick trennt und sie den Haien vorwirft, kann er seinen Gefährten retten. Derweil rumort es in Feinfingers Domizil: Auf seiner „Weltüberwachungs-Hammond Orgel“ klimpert er selbstherrlich vor sich hin und hat bereits die Bärchen im Visir, die er entführen möchte. Zunächst aber wehrt man sich auf Blaubärs Kutter gegen einen Piratenangriff. Glücklicherweise hat Blaubär seine Piratencreme in der Bordapotheke. Nun macht sich Feinfinger mit seinem selbstkonstruierten Personenfaxgerät höchstpersönlich an Bord auf und entführt die Bärchen auf sein Domizil Schloss Grauenfels.

Das ist nicht einmal der halbe Film, aber es wäre schade, in der Beschreibung auf Details zu verzichten, nur um Platz für das Ende zu finden. Es ist nicht zu viel verraten, wenn Blaubär Wege findet, seine Bärchen zu retten, ohne sich dabei in Lügengebäude zu verstricken. In einer nicht enden wollenden Folge hinreißender Ideen rankt sich dieser bemerkenswerte Film dahin wie reinstes Seemannsgarn. Dass man diese Kleinteiligkeit einem großen erzählerischen Bogen vorgezogen hat, ist durchaus zu begrüßen – man kennt die simplen Dramaturgien, mit denen abendfüllende Zeichentrickfilme in den letzten Jahren flüchtige Spannung schürten, ohne dabei überhaupt etwas zu erzählen. „Käpt’n Blaubär“ ist eine Feier der Erzählkunst und eine Mahnung an alle, die Kinder ins Bett zu bringen haben, sich etwas einfallen zu lassen. Das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen und geht in die deutsche Trickfilmgeschichte ein: Wirkliche Originalität und ein auf den deutschen Sprachraum ausgerichteter Humor, dazu ein Gespür für eine Lewis-Carrollsche Nonsense-Poesie, die sich kongenial in Bilder auflöst. Die Animation ist vorzüglich, was angesichts der kurzen Drehzeit von einem Jahr ein kleines Wunder ist. Das Erstaunlichste jedoch ist, wie sehr sich der Film nach oben hin in der Zuschauerschaft öffnet, soll heißen: Je älter man ist, desto mehr Spaß empfindet man daran. Dennoch werden sich auch Kinder vergnügen, selbst wenn sie nur einen Bruchteil der Späße verstehen. Dafür lernen sie vielleicht noch etwas dabei, was ja nicht schaden soll. Gewiss könnte man auch die episodische Struktur kritisieren, doch die Ideenfülle lohnt auch noch das dritte Ansehen.

Dass die Bildsprache nicht so originell ist wie das Drehbuch, mag man bedauern; hätte man ein visuelles Konzept erarbeitet à la „Yellow Submarine“, wäre dies das Meisterwerk der deutschen Trickfilmgeschichte. Regisseur Hajo Freitag ließ sich einen Stil einfallen, der ein wenig an die Illustrationskunst des 19. Jahrhunderts erinnert: Symmetrische Bildaufbauten und eine der Erzählung entsprechende Detailfülle machen auch Stilbrüche (wie computeranimierte Wellen) stimmig. Es würde nicht verwundern, wenn der Film in Deutschland so viele Zuschauer fände wie „Titanic“; wichtiger ist aber, dass dies nach drei „Werner“-Filmen endlich eine deutsche Großproduktion im Trickfilmbereich ist, die man auch in 20 Jahren noch einmal ansehen möchte.

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