Lady Hamilton
Lady Hamilton
H. W. (= Hans Wollenberg), Lichtbild-Bühne, Nr. 43, 22.10.1921
Ein Werk, das sich das Signum "Millionen-Film" beilegt, übernimmt Verpflichtungen: Verpflichtungen, nicht nur was die Herstellungskosten und den Exportgewinn, sondern was seine inneren Qualitäten betrifft, die den Kritiker allein angehen dürfen.
Dieser Film hat Leben und Lieben einer Frau von ungewöhnlicher Schönheit und ungewöhnlichem Charakter als Vorwurf. Man muß ohne weiteres attestieren, daß die Schönheit vorhanden ist. Man glaubt dieser Liane Haidt ihre magnetische Wirkung auf alles Mannsvolk. Was dagegen nicht vorhanden ist, ist der Charakter, will sagen das Menschenbildnerische; diese Schönheit bleibt immer nur – Schönheit, wird nicht Mensch, Persönlichkeit, Individuum, dessen Fühlen man mitfühlt. Ob dies Schuld der Darstellerin, ob nicht vielmehr der Regie – wer kann es heute feststellen?
Vielleicht wäre dieser Siebenakter dann (wenn nämlich die von Anfang bis zu Ende durch seine Szenen hindurchschreitende photographierte Person zur Persönlichkeit geformt wäre) ein einheitliches Ganzes, vielleicht wäre das Anorganisch-Episodische durch eine solche darstellerische Klammer zu einer dramatisch geschlossenen Einheit gebunden worden. So aber fehlt die dramatische Dynamik. Sieben Akte, aber kein – Filmdrama.
Man muß diese fundamentale Feststellung dem Autor-Regisseur Oswald gegenüber treffen, bevor man ins einzelne des Films geht, wobei man dann freilich lieber verweilt; denn da gewahrt man Perlen und Brillanten, denen man nur eben eine bessere Fassung gewünscht hätte.
Das Bildhafte dieses Films schafft eine Fülle reiner Genüsse, mögen es italienische Landschaften und Stadtbilder, mögen es Seestücke, Innenaufnahmen oder Atelierbauten sein. Paul Leni hat, das ist hier bewiesen, eine vollendete Reife als Schöpfer belebter Bilder erreicht.
Juwelen blitzen auch im Darstellerischen auf; am prachtvollsten der Lord Nelson Conrad Veidts; er formt den verstümmelten Seehelden, den großen Mann und seine Liebe plastisch, erschütternd lebendig. Unmittelbar lebendig in seiner grotesken Vitalität auch Werner Krauß als Lord Hamilton. Schünzel als König von Neapel übertreibt die Komik vielleicht um ein paar Grade. Friedrich Kühne, Hugo Döblin und Ilka Grüning schaffen dagegen in kleineren Rollen ein paar schauspielerische Kabinettstücke, die in der Fülle der Gesichte nicht untergehen.
Alles in allem: ein Werk, das man getrost als guten Film im Rahmen der deutschen Produktion bezeichnen kann und das vielleicht nur darum ein wenig enttäuscht, weil die schwungvolle Ankündigung als "Millionen-Film" eben noch mehr zu verheißen schien.