Der bayerische Rebell

Deutschland 2001-2003 Dokumentarfilm

Der bayerische Rebell


Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 8, 00.00.2004

Man kann den Dokumentarfilm „Der bayerische Rebell“ auf die Geschichte zweier Erzfeinde reduzieren; auf die Auseinandersetzung von zwei Männern, die an entgegen gesetzten Polen der Gesellschaft agieren – eine Art Light-Version der Konfrontation zwischen Terrorist und Banker wie in „Black Box BRD“ (fd 34 861): In der roten Ecke Hans Söllner, Liedermacher aus Bad Reichenhall und selbsternannter Prediger von Cannabis und Anarchie, in der schwarzen Günther Beckstein, Innenminister des Freistaates Bayern und selbsternannter Bewahrer von Ruhe, Ordnung und Demokratie. So wie Söllner bei jeder Gelegenheit, auf der Bühne und privat, davon schwadroniert, dass das Recht auf Rausch ein Grundrecht sei, die Obrigkeit einem immer nur an den Kragen will und man sie deshalb in den Hintern treten soll, genauso eilt Beckstein immer dann sofort vor die Kameras und Mikrofone, wenn er wieder einmal die Sicherheit im Lande bedroht sieht, sei es durch Terroristen, Immigranten oder Bündnisgrüne. Im Grunde ist dies auch die Geschichte zweier Geistesverwandter. Beide, der Sänger und der Politiker, reden am liebsten von Freiheit, die es zu bewahren gilt, koste es was es wolle, und beide fühlen sich zum Schutzheiligen dieser Freiheit berufen, die sie insbesondere vor dem jeweils Anderen beschützen müssen.

Andy Stiglmayr hat sich in seinem ersten großen Dokumentarfilm für den Musiker Hans Söllner entschieden. Er begleitet ihn in sein geräumiges Haus, das inmitten der bürgerlichen Umgebung steht, die Söllner boshaft besingt, zeigt ihn als Familienvater, lässt seine Ex-Freundin zu Wort kommen und seinen Verleger, im nächsten Moment sieht man ihn bei einer seiner Aktionen gegen die Staatsgewalt. Dass Söllner die Konfrontation sucht, pointiert eine kleine Szene, in der er Kripobeamte in Zivil hinter der Bühne rhetorisch erst einwickelt und dann beschimpft. Ein anderes Mal begleitet ihn eine – für Söllners Geschmack viel zu kleine – Fangemeinde, die er auf einem seiner Konzerte angeheizt hat, auf eine Polizeiwache, als er sich selbst wegen des Besitzes von einem Gramm Marihuana anzeigt. Söllner ist ein Star, wenigstens im Süden, wo man sein breites Bayerisch gut versteht, aber auch im Osten. Und das, obwohl er im Radio nicht zu hören ist und im Fernsehen gemieden wird, außer bei Biolek oder – fast aus Versehen – im Rahmen eines regionalen Reggae-Festivals. Seine Fans sind nicht mit ihm älter geworden, sondern eher unter den 20-Jährigen zu finden. Sie wachsen nach wie das Gras, das Söllner immer wieder beschwört. Immer wieder „Gras“ – als könne man mit dessen Besitz und Konsum die Welt verändern. Ein paar Weisheiten hat Söllner zwar darüber hinaus noch parat, aber nicht viele. Seine Lieder geben eigenartiger Weise manchmal wesentlich mehr her. Mal eher im Stil von Bob Dylan, dann wieder sehr an Bob Marley angelehnt, in Gestus wie in Gesang, preist er ein Leben außerhalb der allgegenwärtigen Repression.

Sein Widerpart, Günther Beckstein, ist nur durch Archivmaterial präsent, weil er sich vor Stiglmayrs Kamera nicht äußern wollte. Dass Beckstein im Rahmen des politischen Establishments nur der Repräsentant eines Mainstreams ist, der alles ablehnt, was anders ist, besonders langhaarige, großmäulige Kiffer, das Klischeefeindbild schlechthin also, zeigt Stiglmayr anhand eines Trachtenfestes am Chiemsee. Auf dem Gautreffen werden bodenständige Bayern zu Söllner befragt, und tatsächlich, sie kennen ihn alle, aber eher so, wie man den Beelzebub kennt: ein Spinner und Gesetzesbrecher sei das. Umgekehrt sind die Filz- und Lodenträger ein nicht minder dankbares Feindbild, das es einem wie Söllner leicht macht, sich zum Rebellen zu stilisieren. Bezeichnender ist da ein blutjunger Staatsanwalt, der eine lächerliche, völlig überdimensionierte Beleidigungsklage gegen den Sänger führt und, selbst noch grün hinter den Ohren, dem Kamerateam wütend die Tür weist. Stiglmayr, der ohne Filmförderung ausgekommen ist, stilisiert nach Kräften mit. Nicht etwa durch suggestive Eingriffe oder Propaganda, sondern allein durch seine Parteinahme. Bekanntlich ist jeder Streifenpolizist verpflichtet, Kiffer zumindest nicht einfach laufen zu lassen. Umso mehr muss ein Innenminister stramme Töne anschlagen, was auch die von der SPD tun. Umstände wie diese überhaupt zu erwähnen, hätte Söllners Image nicht geschadet, dem Film aber genützt. Man hätte als Zuschauer eine Chance erhalten, die Distanz zu wahren und abwägen zu können, und Stiglmayr selbst hätte sich dem Thema mit mehr Witz oder wenigstens einer subjektiver Haltung annehmen können. So ist „Der bayerische Rebell“ nicht mehr als ein mehr oder minder erhellendes Porträt mit einigen Längen: Ein Film über eine schillernde Figur, die eher den Glanz vergangener Epochen spiegelt, und der die 1980er- und 1990er-Jahre offenbar nichts anhaben konnten.

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