Orlacs Hände
Orlacs Hände
Heinz Michaelis, Film-Kurier, Nr. 28, 2.2.1925
Dieser Film wirkt etwa wie eine Edgar Allen Poesche Novelle, zu der Ludwig Wolf das Schlußkapitel geschrieben hat.
Aber trotzdem man dem Publikum zu Nutz und Frommen die phantastische Handlung zum Schluß in Gefällig-Kriminalistische umgebogen hat, ist das Werk trotzdem eine Etappe auf dem Wege zum künstlerischen Film.
Aber meine Herren vom Bau: Der Zuschauer ist keineswegs so träge in der Phantasie und von so ungelenkem Intellekt, wie er in eurer Vorstellung lebt. Das Publikum geht ins Kino, aufnahmebereit, willig, sich von euch hinaufführen zu lassen in unbekannte Reiche, die es bisher noch nie geschaut. Und nun kommt ihr und macht seinem beschränktem Untertanenverstand Konzessionen, die es gar nicht verlangt, ja, die es manchmal sogar aufbegehren läßt. Denn daß ihr"s wißt: Gerade der naive Zuschauer hat eine verflucht feine Nase für jeden Zynismus, der sich zu ihm herabzulassen glaubt und im Grunde nur den Mangel an Mut verhüllt, ein Sujet bis zu seinen letzten Konsequenzen zu verfolgen.
Warum muß sich dieser geheimnisvolle Unbekannte plötzlich als ein trivialer Verbrecher aus der kriminalistischen Chronik der Tageszeitungen entpuppen, nachdem der Zuschauer sich schon darauf eingerichtet hat, in ihm ein Art "Revenant" zu sehen? Und wißt ihr auch, daß ein solcher Stimmungsumschlag sogar den von euch doch mit so glühender Inbrunst ersehnten Publikumserfolg gefährden kann? Daß es hier nicht geschehen ist, daß man bis zum Schluß gebannt blieb, ist einzig der ausgezeichneten Regie von Doktor Robert Wiene zu verdanken, die auch hier noch die Albdruckstimmung des ganzen Werkes festzuhalten weiß.
Das ist das hauptsächliche Verdienst dieser Regieleistung: Daß sie die Handlung von vornherein in einen Schimmer von Irrealität taucht, die banale Frage nach der realen Möglichkeit der Vorgänge gar nicht aufkommen läßt.
Über jeder Szene liegt die Magie Poescher oder E. Th. Hoffmannscher Novellen. Diese Bilder sind in die Dämmerstimmung der Spukballade getaucht und dabei von einer nur selten aussetzenden Intensivierung im Rhythmischen. Faszinierend einige Einzelheiten, wie die Traumerscheinung des Unbekannten. Wiene gibt unter Ausschaltung aller naturalistischen Details die Essenz jeder einzelnen Situation. Dadurch bewirkt er die Transfiguration des Zuschauers.
Conrad Veidt als Orlac gestaltet das Abbild des durch ein mystisches Geschick seelisch verheerten Menschen. Suggestiv der Ausdruck des Entsetzens, wenn er durch den auf das Bett geworfenen Zettel erfährt, daß der Chirurg ihm als Ersatz für seine bei der Eisenbahnkatastrophe verstümmelten Hände die Hände eines hingerichteten Mörders angesetzt hat. Leider ist seine Mimik nicht immer frei von Bewußtheit, von der berühmten Conrad Veidt-Note, die bei ihm schon mitunter Klischee geworden ist. Seine mimischen Übergänge sind nicht immer von letzter Kontinuierlichkeit, wie bei Jannings, bei Asta Nielsen, mitunter auch bei der Negri. Manchmal springt er abrupt von einem mimischen Ausdruck zum anderen hinüber. Voll restloser Genialität dagegen ist das Spiel seiner Hände. Ihre Beredsamkeit allein ist imstande, psychische Zustände auszudrücken, das Drama einer Seele zu entwickeln. Veidt ist einer der wenigen auserwählten Menschendarsteller des deutschen Films. Desto stärker ist seine Verpflichtung, alles zu überwinden, was zur Schablonisierung seiner einmaligen künstlerischen Individualität führen könnte. (...)