Unheimliche Geschichten

Deutschland 1932 Spielfilm

Unheimliche Geschichten



H. W–g. (= Hans Wollenberg), Lichtbild-Bühne, Nr. 211, 8.9.1932


Die Spielplanpolitik der Ufa hat das U.-T. Kurfürstendamm sehr schnell als das Theater der Spannungsfilme durchzusetzen verstanden. Folgerichtig erscheinen an dieser Pflegestätte des modernen Kriminalfilms die "Unheimlichen Geschichten" Richard Oswalds. Sie liegen auf der gleichen Linie, wenngleich sie sich freilich von jenen Reißern, denen der rein äußere Ablauf eines Verbrechens und seiner Klärung der wesentliche Daseinszweck ist, deutlich absetzen. Hier wird mehr gewollt. Hier wird die Spannung zum Grauen gesteigert, das Verbrechen zur seelischen Abnormität vertieft. Bedingt der eigentliche Kriminalfilm die Vortäuschung des deutlichsten Realismus, so soll hier das Phantastische, Überreale uns bannen. Ein solcher Film ist in den Bezirken der dämonischen Dichtung beheimatet, in der Sphäre des Stevenson und Poe.

Man dürfte mit Interesse abwarten, wie sich das solcher Kost entwöhnte Publikum dazu einstellen würde. Mit Genugtuung konnte man feststellen, daß das ganze Haus mit dieser unheimlichen Geschichte deutlich mitging und sich gepackt und willig in ihre düsteren Regionen führen ließ. Und wenn sich am Schluß die grauen- und spannungsgeladene Atmosphäre in lebhaftem Beifall entlud, für den Richard Oswald und sein Hauptdarsteller Paul Wegener danken konnten, so darf man beachten, daß es kein kritischeres, skeptischeres Auditorium als das des Berliner Westens gibt. Weit bereitwilliger, zugänglicher wird man anderwärts, nach dieser bestandenen Feuerprobe in Berlin-W, diesen spukhaften Film von der Südfilm entgegennehmen. Er wird als starke Abwechslung im Spielplan recht willkommen sein.

Und das ist erfreulich. Nicht jede Woche, aber ein paarmal in der Saison ist Raum und muß Raum sein für Filmschöpfungen, die aus dem gewohnten Rahmen herausfallen. Daß Oswald, der Geschäftssichere, es sich geleistet hat, einmal wieder nach solchem Stoff zu greifen, wird man ihm anzurechnen haben. Er hat damit an seinen entscheidenden ErfoIg einer vergangenen Stummfilm-Epoche angeknüpft: An seine "Unheimlichen Geschichten" der Jahre 1919/20, denen er einen künstlerischen Ruf zu verdanken hatte. Er ist mit diesem Ruf gewiß nicht immer sehr pfleglich umgegangen. Aber mit der Neuverfilmung der unheimlichen Geschichten hat er ihn von neuem gerechtfertigt. (Und, ehrlich, das freut einen denn auch.)



Zwei der Novellen, die sich damals zu in sich geschlossenen Abteilungen des Großfilms zusammenfügten, haben Heinz Goldberg und Eugen Szatmari mit Geschick und Geschmack zum neuen Tonfilm-Drehbuch geformt. Keine leichte, aber, eine geglückte Arbeit. Erhebliche Handlungspartien ganz ohne Sprache zeugen vom richtigen Erkennen der besonderen Erfordernisse dieses Stoffgebietes. Richard Oswalds Regie hier wird für manchen, der ihn nur aus etwas lauten, gesprächigen, roh gefügten und überdeutlichen Inszenierungen kennt, eine Überraschung – eine sehr angenehme Überraschung sein. Sie hat Atmosphäre, Zwischentöne; sie weiß instinktsicher an jener Grenze haarscharf vorbeizusteuern, bei der das Grausige ins Komische umschlägt. Und das ist schwer, besonders bei Paul Wegeners mimischem Stil. Wegener, der dem deutschen Film einst seinen Darstellungsstil vorzeichnete und auch heute in jedem Zoll künstlerische Persönlichkeit atmet, ist mit seinen Ausdrucksmitteln nicht immer sparsam genug; hier liegen Gefahren, die die stärkste Regiehand erfordern. Und doch: Wo hat der deutsche Film den Schauspieler, der gleich ihm leibhaftige Dämonie ausströmte. (...)

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