Der Galeerensträfling. 1. Teil
Ein neuer Wegener-Film
Hb., Lichtbild-Bühne, Nr. 42, 18.10.1919
Lang erwartete Dinge enttäuschen fast immer. Lange war Paul Wegener, der Filmkundige, der Leinwand fern geblieben, so daß man sich mit großen Erwartungen am Freitag zur Ufapremiere am Kurfürstendamm begab. Es war eine Enttäuschung. "Der Galeerensträfling", von Wegener selbst einem Balzacschen Roman nachgebildet, fesselt zu Anfang, durch packende Bilder von starker Realistik und bringt sehr originelle Ausschnitte aus dem Leben der Galeerensträflinge, deren Haupt und König Colin, genannt “Betrüdentod", also Wegener ist. Sein kerkulischer Körper, sein von inneren Wettern durchzucktes Gesicht, prädestinieren ihn zu dieser Rolle eines genialen Verbrechers. Weniger wohl schien sich Ernst Deutsch als sein Mitsträfling und Schützling in seiner Haut zu fühlen. Der visionäre Blick, die schmale zarte Gestalt dieses Künstlers passen schlecht das Format solcher Existenz. Nach dem vielversprechenden Anfang verflacht der Film jedoch insofern, als er mit Colins Flucht und seiner Einquartierung unter falschem Namen in einer gutbürgerlichen Pension zu einem gewöhnlichen Gesellschaftsfilm wird mit den üblichen Verwicklungen und Unwahrscheinlichkeiten. Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht als heimlicher Drahtzieher der Verbrecher, den schließlich sein Schicksal ereilt. Die entzückende Lyda Salmonova kommt in der Rolle einer zärtlichen Liebhaberin und verspäteten, Millonenenbin wenig zur Geltung, wie auch das Kostüm der Zeit, frühes französisches 19. Jahrhundert, für sie nicht günstig ist. Paul Hartmann, als Herr von Rastignac, war ihr gutaussehender Partner, Paul Wegener, der, wie seine bisherigen Films beweisen, ein so feines Gefühl für die spezifischen Möglichkeiten des Films hat, hat sich hier von einem wenig, filmwirksamen Stoff verführen lassen, weil die Rolle mit den vielerlei Verkleidungen vielleicht den Komödianten in ihm lockte. Aber der Reiz bleibt äußerlich, und das Elementare, das Tierhaft -Gewaltige seiner Natur, das in Märchen- und Phantasiefilms so wundervoll herauskommt, muß er ums hier schuldig bleiben. Ein im Fesseln geschmiedeter Titan: zu Anfang in die eisernen des Sträflings, später in die der Konvention.