Schtonk!

Deutschland 1991/1992 Spielfilm

Schtonk!



Rudolf Worschech, epd Film Nr. 4, April 1992


"Schtonk!" handelt von Kontinuität, deutscher Kontinuität, und er greift weit zurück, um eine direkte Verbindung zwischen den Altnazis und Geschäftemachern von heute und dem Objekt ihrer Verehrung herzustellen. In einer der großartigsten Expositionen der neueren deutschen Filmgeschichte schlägt er einen Bogen von 1945 bis in die achtziger Jahre. Deutsche Geschichte im Zeitraffertempo, ein respektloser schneller Vorlauf in fünf Minuten: Wochenschauaufnahmen von Flakbatterien und Bombenhagel zeugen von den letzten Kriegstagen, in den Ruinen von Berlin kämpfen die letzten Wehrmachtsoldaten gegen die Rote Armee, Zarah Leander singt dazu "Davon geht die Welt nicht unter", zwei Leichen werden in einen Granattrichter gelegt – Adolf Hitler und Eva Braun. Ein Soldat zieht Hitler noch schnell den Scheitel gerade und Eva Braun den hochgerutschten Rock herunter, ein zweiter versucht, die Leichen in Brand zu setzen. Doch er verbrennt sich nur die Finger und rennt zu seinem Vorgesetzten, einem Obersturmbannführer, der gerade Zivilkleidung anzieht, und meldet gehorsamst: "Er brennt nicht, der Führer". Erst als der SS-Offizier selbst Benzin über die Leichen kippt, gehen der Führer und die "Frau Führer" in Flammen auf. In der Nachkriegszeit auf dem schwarzen Markt: die Deutschen machen Geschäfte mit den "ausländischen Freunden", wie Knobels Off-Kommentar sie nennt, besonders gut gehen Nazi-Devotionalien. Der junge Fritz Knobel fälscht die Schrift des Führers, fertigt ein Schriftstück an, das er an eine Uniform-Mütze hängt und verkauft sie als "Sonntagsmütze des Führers" ("Personal private sunday hat. Adolf Hitler. Big Nazi") an einen amerikanischen Soldaten. Aber nicht nur an ihn: Mehrere GIs tragen solche Mützen mit Knobels Zertifikaten. Als in den fünfziger Jahren der Handel mit den (unechten) Überbleibseln der Nazizeit nicht mehr floriert, "weil es ja keine Nazis gegeben hat", lernt Knobel immerhin seine spätere Frau kennen, der er sich gleich als Professor vorstellt. Die Nachkriegszeit ist zuende und eine Fälscherkarriere hat begonnen.

Irgendwo im Schwäbischen. Eine Idylle: Ein malerisches Fachwerkhaus steht auf einer grünen Wiese am Waldrand, ein Weg schlängelt sich zum Dorf, Schafe weiden, auf der Scheune prangt ein Hinweis auf "Antikes". Doch der Schein trügt. Von hier nimmt ein Geschehen seinen Lauf, das braunen Untergrund zutage fördert. Es geht um die gefälschten Hitler-Tagebücher, über die der "Stern" 1983 stolperte.


Im Fachwerkhaus arbeitet "Prof. Dr." Fritz Knobel (Uwe Ochsenknecht) gerade an einem Aktbildnis von Eva Braun, das der Führer höchstselbst gemalt haben soll. Und da seine Frau sich weigert, ihm Modell zu stehen, weil er sie in einer Toulouse-Lautrec-Kopie als Nutte verewigt hat, sucht er sich "seine" Eva Braun unter Landarbeiterinnen auf einem Acker aus. Er verkauft das Bild an den Nähmaschinen-Fabrikanten und Sammler von Nazi-Devotionalien, Lentz (Rolf Hoppe); ein herbeigerufener Nazi-Kunst-Experte (Karl Schönböck) bestätigt die Echtheit des Gemäldes, denn "er war ja selbst dabei", als der Führer es malte, auf der Wiese, hinter dem Berghof. Und da kommt dem Fälscher die Idee von "einem Gesamtkunstwerk von geradezu welthistorischem Ausmaß": Hitler privat. Währenddessen lässt ein schmieriger und geltungssüchtiger Reporter namens Hermann Willié (Götz George) Görings gesunkene Yacht "Carin II" bergen und macht sich an die Nichte des Reichsmarschalls, Freya von Hepp (Christiane Hörbiger), heran. Und irgendwann kommen der Fälscher und der Reporter, den man nie schreiben sieht, ins Geschäft.

Kleinster gemeinsamer Nenner aller am großen Betrug Beteiligten ist die Chimäre eines menschlichen Adolf Hitler. Der Kunstexperte hat immer schon alles gewusst, der Verlagsleiter (Ulrich Mühe) spricht von einem Menschen "wie du und ich", der Chefredakteur (Martin Benrath) von einer Neubewertung der Geschichte, und immer mehr fraternisieren die drei Zeitungsmänner mit dem braunen Pack. Regisseur Helmut Dietl hat für diesen Verlust an Realitatssinn ein überwältigendes Bild gefunden: Am Schluss des Films fährt Willié im Morgengrauen auf seinem Boot in den Hamburger Hafen, gezogen von einem Schlepper, eskortiert von zwei Polizeibooten. Es ist seine letzte Fahrt, und immer noch sucht er nach dem großen "Knüller" – mittlerweile nach Adolf Hitler selbst. Am Steuer der "Carin II" lernt er aus einem Sprachführer spanische Sätze auswendig.


"KotzeSchtonk" verspricht sich Lentz einmal, als er in seinem Schloss aufgeregt aus den Tagebüchern vorliest und "Gott sei Dank" sagen will. "Schtonk!" brüllte immer wieder der Diktator Hynkel in "The great dictator" und genau wie Chaplins Film von 1940 ist Dietls Film von 1992 eine große Satire. "Schtonk!" macht kein Hehl daraus, dass die Wirklichkeit schon jede Satire überholt hat, man spürt das Staunen des Regisseurs über das, was in der Realität möglich war; die Zitate aus den Tagebüchern sollen aus den originalen Falsifikaten stammen. Der Film pendelt hin und her zwischen dem ganz Grotesken und dem ganz Banalen. Das Treffen der Altnazis im Schloss des Fabrikanten ist wie eine Walpurgisnacht inszeniert. In Bussen wird die Festgesellschaft herbeigeschafft, mit schwarzen Regenschirmen stapfen die älteren Damen und Herren im Gänsemarsch bergan, Fackeln beleuchten den Pfad. Es geht gesittet zu, es ist eben eine deutsche Walpurgisnacht.

Als Fieberwahn inszeniert Helmut Dietl die Pressekonferenz im Haus der "HH-press", in der Willié die Tagebücher präsentiert. Es brodelt im Saal, und Willié schwenkt ein Tagebuch, die Chefredakteure und Kummer (Harald Juhnke) drängen sich um ihn, um auch aufs Bild zu kommen. Am Schluss bleibt nur noch Willié, in Großaufnahme und in Zeitlupe, ein manisches, zum Lächeln verzerrtes Gesicht. Es ist die Stunde seines größten Triumphes, von dem er aber weiß, dass er katastrophal enden wird. Willié wirkt wie ein Schmierenkomödiant, vor dem wieder und wieder der Vorhang aufgezogen wird.

Ganz trivial sind die Worte, die Knobel Adolf Hitler in die Feder legt, und ebenso trivial sind die Anlässe, von denen der Fälscher seine Inspirationen bezieht. Am 20. April, seinem 56. Geburtstag, träumt Hitler davon, dass seine privaten Aufzeichnungen verbrannt seien, und er vertraut seinem Tagebuch an, dass er geweint habe. Einer der schaurigen Höhepunkte des Films zeichnet sich ab, als der Verlagsleiter, Kummer und Willié zum ersten Mal die altdeutsche Schrift Hitlers zu entziffern suchen und nach langem Rätseln auffolgenden Satz stoßen: "Die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Zeit verursachen mir Blähungen im Darmbereich, und Eva sagt, ich habe Mundgeruch."

Ebenso simpel geht es in der Fälscherwerkstatt zu. Da patiniert Knobel mit einem Dampfbügeleisen und schwarzem Tee die Seiten, da sorgt ein Toaster für ein angesengtes Aussehen, da fließt die Tinte aus einem Küchenmixer, da muss eine Vorhangkordel als Verschluss des Tagebuches herhalten. Und weil kein "A" als Buchstabe zu finden ist, klebt Knobel eben ein "F" und ein "H" ("Führer Hitler") auf den Einband. Der Fälscher wird seinem Vorbild immer ähnlicher, er erliegt wie alle anderen der Illusion, die er selbst geschaffen hat. Vom Fieber geschüttelt, mit angeklatschten Haaren verwandelt er sich eines Nachts wie zufällig in Adolf Hitler: mit einem Schnurrbart aus Tinte.

Nie aber sind die Figuren des Films bloße Karikaturen. Götz George spielt den hochstaplerischen Reporter mitleiderregend, ängstlich, mit einem nervösen Räuspern im Hals, ein Männlein mit Korsett und Schweiß auf der Stirn. Christiane Hörbiger als "Frau Reichsmarschall" hat etwas Verruchtes, das so gar nicht zu ihrem Realitätssinn passen will: Sie ist die einzige, die sofort die Fälschungen erkennt. Der Film ist bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt: mit einem distanziert- verklemmten Ulrich Mühe als Verlagsleiter Dr. Wieland, einem berlinernden Harald Juhnke, einem bärbeißigen Georg Marischka (den Dietl schon in seiner Fernsehserie "Kir Royal" als bayrischen Ministerpräsidenten großartig eingesetzt hatte).

"Schtonk!" ist ein Film der Superlative. Er hat, so heißt es, 15 Millionen DM gekostet. Er ist in CinemaScope gedreht, einem Format jenseits aller Fernsehästhetik, das nur im Kino wirkt. Für ihn wurde ein Werberummel sondergleichen entfaltet: Plakate auf allen Litfasssäulen, Vorberichte auf allen Kanälen, Anzeigen in allen Blättern. Doch es hat im letzten Jahrzehnt kaum einen anderen deutschen Film gegeben, der diesen Aufwand so sehr gerechtfertigt hätte.

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