Gone
Gone – Eine tödliche Leidenschaft
Claus Löser, film-dienst, Nr. 6, 18.03.2004
Gemessen am sichtbaren Lebensstandard, betreibt das Ehepaar Schiller einen erfolgreichen Kleinverlag. Von seinem beschaulichen Wohnsitz auf dem Lande sowie von seinem Büro in München aus betreut es eine leicht psychotische Schar von Autoren. Mit dem 7er-BMW braust das Verleger-Paar gelegentlich in die Landeshauptstadt, um Geschäftstermine wahrzunehmen; ansonsten blättert es auf der Terrasse mit Waldblick in den eingereichten Manuskripten, stets eine Flasche erlesenen Weins in Reichweite. Doch die Idylle hat Risse: Alma Schiller wird regelmäßig von Wahnvorstellungen geplagt. Vor 15 Jahren hat sie sich zu einer Abtreibung entschlossen – seitdem vermeint sie die Rufe des getöteten Embryos zu vernehmen. Jetzt ist es wieder so weit: Alma bricht aus, trinkt übermäßig, ihr Mann Henry muss sie in einer Münchner Unfallklinik suchen, wo ihr einmal mehr eine Überdosis Schlaftabletten aus dem Magen gepumpt wird. Folgerichtig versucht er, bedrohliches Material von seiner Partnerin fern zu halten. Erst recht jenen Roman mit dem Titel "Gone", der auf beängstigende Weise das Schicksal Almas nachzuzeichnen scheint. Bis in private Details hinein bezieht sich das Manuskript auf Almas Krisen, das um Einzelheiten weiß, die ein Außenstehender unmöglich hätte in Erfahrung bringen können. Also lehnt Henry den Text ab, schickt ihn mit einer routiniert- arroganten Formulierung zurück. Doch der unbekannte Autor gibt sich mit dieser Zurückweisung nicht zufrieden.
Die kurze (und unvollständige) Plot- Beschreibung lässt erahnen, in welche Richtung sich das Drehbuch entwickelt. Man hat es mit einem jener Entwürfe zu tun, bei denen sich die vorgebliche Realität einer Filmhandlung auf erster Ebene mit der Meta- Realität einer Fiktion auf zweiter Ebene verflicht und schließlich auf unheilvolle Weise verschmilzt. Der Verfasser des geheimnisvollen Romans, soviel sei verraten, trifft im Zustand eines hartnäckigen "writer’s block" zufällig auf Alma und erkennt in ihr sofort seine Muse. Ihm ist unumstößlich klar, dass jene Frau schon lange in ihm existiert hat. Nur mit ihr und durch sie kann er seine eigentliche literarische Passion ausleben. Die schockartig realisierte Seelenverwandtschaft zwischen den beiden führt für den Poeten zum Inspirationsschub: Er schreibt mit "Gone" den Roman ihrer Beziehung, die durch die prophetische Verschriftlichung fixiert und zugleich materialisiert wird. Wiederholt fällt der Satz: "Wir liebten uns nicht der Liebe wegen, wir liebten uns unserem gemeinsamen Tod entgegen." Womit die Fahrtrichtung der Leidenschaft hinreichend angegeben ist.
"Gone" ist das Spielfilmdebüt des Schauspielers, Musikers, Kinobetreibers, Theaterregisseurs und zeitweiligen Mitwirkenden an Hermann Nitschs "Orgien-Mysterien- Theater" Zoltan Paul. Dem Langfilm ging eine Kurzfilmproduktion mit demselben Titel voraus. Unter immenser Kraftanstrengung wurde das Projekt allein mit der Unterstützung von Freunden, Verwandten und Privat-Sponsoren gestemmt. Wohl nicht zufällig ist die Wahl der Hauptdarstellerin auf Adele Neuhauser gefallen – sie ist die Ehefrau Pauls. Gedreht wurde vorrangig im eigenen Haus im südbayerischen Polling. Eine Menge Sympathiepunkte kann der Regisseur mit dieser autarken Arbeitsweise für sich verbuchen – führt doch die Förderung allzu oft zu einer überbudgetierten Rundumversorgung mittelmäßiger Projekte. Automatisch gut wird ein Film aber durch unabhängige Produktionsbedingungen allerdings auch nicht. Davon abgesehen: Pauls Film wartet mit einigen Qualitäten auf. Neben Kameraführung, Beleuchtung und Schnitt liegen diese vor allem im Bereich der Darstellung. Adele Neuhauser ist eine präzise, facettenreiche Schauspielerin, die streckenweise die Untiefen der Handlung ganz allein mit ihrem traumwandlerischen Spiel und dem Timbre ihrer dunklen Stimme auszugleichen vermag. Auch der sonore Robert Giggenbach als ihr Filmpartner und Detlef Bothe in der Nebenrolle eines Anlageberaters überzeugen, während Christof Gareisen als besessener, wild mit den Augen rollender Schriftsteller unfreiwillig ins Parodistische abrutscht. Dafür kann er wenig, der Regisseur schon mehr, birgt es doch stets die Gefahr der Lächerlichkeit in sich, einen verzweifelten Poeten filmisch abzubilden. Die stumme Schreibmaschine, daneben eine Flasche Schnaps, das leere Blatt Papier – selbst wenn diese Konstellation der Wirklichkeit entsprechen sollte, bleibt das Klischee zu dominant, als dass man dergleichen ernst nehmen könnte. Das Grundproblem des Films liegt jedoch in seiner Unentschlossenheit, den potenziellen Fantasy- Stoff letztlich weder ernst noch ironisch zu behandeln. Es gibt zwar leise Ansätze einer konzeptionellen Doppeldeutigkeit, doch diese kommt durch das inszenatorische Brimborium, vor allem auch durch die unablässig kommentierende Musik, nicht zum Tragen.