Eigenwillig fabuliert. "Bockshorn"
Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 8, 1984
Schon immer bekam man von Frank Beyer Geschichten erzählt, die mehr und tieferes meinten, als die bloße Verknüpfung der Begebenheiten in seinen Filmfabeln offerierte. Bestes und bislang noch nicht wieder erreichtes Beispiel war "Jakob der Lügner": eine notwendig gefundene Lüge verbreitete Hoffnung und gab Mut inmitten von Entsetzen und Barbarei. Mit seinem neuen Film "Bockshorn", nach dem Roman des Westberliners Christoph Meckel (Szenarium Ulrich Plenzdorf), will Beyer nach eigenem Zeugnis diese substantielle Linie seines Schaffens fortsetzen. Er zielt auf Gleichnis, auf Modell und Parabel. Zu fragen ist: Gleichnis wofür und für wen?
Herr Landolfi (mit allen äußeren Klischee-Attributen des selbstsicher-arroganten, gefälligen, demagogischen und letztlich empfindungslos-brutalen Bosses ausgestattet, aber dennoch als Figur merkwürdig unscharf) nimmt Sauly seinen Schutzengel weg und verkauft ihn weiter. Sauly, der Junge, durch den frühen Kampf ums Dasein nicht mehr Kind, aber dennoch zu jugendlich-romantisch, um schon erwachsen zu sein, glaubt diese Fiktion und will um alles in der Welt seinen Schutzengel wiederhaben. Er empfindet die tiefe Verletzung.
Die Wunde treibt ihn vorwärts. Sein schon etwas erfahrenerer, auch gewitzterer Freund Mick erfaßt die Manipulation, ohne ihr aber anders beikommen zu können, als daß er Sauly bei der verzweifelten, schier aussichtslosen Suche nach besten, auch naiven, rührenden Kräften hilft. So kommen sie durchs Land, durch eine synthetische Welt, zusammengesetzt aus Bruchstücken, die tiefere Zusammenhänge, Bedeutungen signalisieren. (…) Endlich Meer und Strand, ein Teil gehört den Reichen, ein Teil den Armen. Die hypermoderne Villa eines reichen Amerikaners wird zum Schauplatz hemmungsloser, überschäumender Toberei, die in Rausch und Ekel hinüberwächst. (…) Das alles wird in überreichen Bildern und Vorgängen erzählt, mit einem Überangebot von Vorschlägen für Assoziationen und Entschlüsselungen. Diesem phantastischen Reichtum steht gelegentlich die düstere Schroffheit, die Rätselhaftigkeit manchen Bildes im Wege: nicht jedes läßt sich schnell, manches auch gar nicht entschlüsseln. (Hier liegen zweifellos Schwierigkeiten für den Zuschauer.) Viele Bilder prägen sich ein für lange Zeit: die Arbeitsbesoffenheit der Farmer, die sinnlose Eleganz der Villa, Schönheiten und Exotik von Landschaften.
Ein phantastischer, eigenwillig fabulierter, zu Teilen auch verfremdeter und ebenso befremdender Blick in eine Welt, die nicht unsere ist, bei deren Betrachtung, Entschlüsselung und Kritik jedoch für die weitere Besserung unserer Welt manches zu holen sein könnte.
Frank Beyer und alle seine Helfer (von Alfred Hirschmeier als glänzendem Szenographen bis zu internationalen Produktionspartnern, von dem bewährten Musiker Günther Fischer bis zu Kameramann Claus Neumann) mobilisieren viel filmische Phantasie, die der Geschichte guttut und den Blick weitet.
Ganz überragend die beiden Jungen, die Beyer sehr sicher durch die Fabel führt und denen er alles abverlangte, was die bizarre Geschichte bot, und die ihm dies alles auch auf eine Weise spielten, daß sie sich einem tief ins Herz Ebenso gelungen, weil wider-spruchsreich und menschlich die anderen Gestalten. .Das filmische Gleichnis bietet Futter zum Sehen und Anreiz zum Nachdenken. Es ist sperrig und hakt sich fest.