Grube Morgenrot
Eine Insel im Meer
Fred Gehler, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 3, 1984
Die Geschichte ist authentisch und ereignete sich so 1930 im Waldenburgischen. (…) Paradoxerweise hatte Joachim Barckhausen 1934 diesen Stoff der Ufa angeboten. Mit dem zu erwartenden Resultat. Nach 1945 erzählt Barckhausen die Geschichte Slatan Dudow. Dudow ist sofort begeistert und bringt ihn mit dem gerade von der DEFA als Autor verpflichteten Alexander Stenbock-Fermor (dem "roten Grafen") zusammen. Dieser verfügt über eine profunde Milieukenntnis. Der Großneffe des Anarchisten Peter Kropotkin hatte 1922/1923 als Werkstudent in einem Bergwerk im Ruhrgebiet gearbeitet, war Journalist, Buchhändlerlehrling, Bibliothekar, Landarbeiter, Hauslehrer, Puppenspieler und Verlagsgehilfe. 1928 erregte sein Buch "Meine Erlebnisse als Bergarbeiter" ungeheures Aufsehen.
Stenbock-Fermor und Barckhausen machen sich an das Drehbuch. (…) Über die äußeren Bedingungen, unter denen es entstand, hat Barckhausen berichtet: "(…) man schrieb den schrecklichen Winter 1946/47! Wir arbeiteten stets in Mänteln und Handschuhen und behielten lieber den Hut auf dem Kopf … Unsere Situation war absurd. Wir redeten, schrieben, ja träumten sogar bloß noch von Kohle. Aber wir selber hatten keine. Wir schilderten Bergarbeiter, denen in den tiefen, überhitzten Stollen über den nackten Rücken rann. Aber wir zitterten vor Kälte …"
Allerdings gibt es auch eine inhaltliche Problematik. Am Anfang steht zwar die Befriedigung: "Der Stoff war so gut und instruktiv, daß wir ihn nur noch mit Leben zu erfüllen hatten. Es galt, ihn szenisch zu gestalten und die passenden Figuren mit ihren individuellen Schicksalen zu erfüllen." Aber wie den Film enden lassen? So wie in der Realität? Dies wird als "nicht gerade befriedigend" empfunden. Nach einigem Hin und Her kommen die Autoren mit der Dramaturgie überein, dem Film eine Rahmenhandlung zu geben.
Das Geschehen setzt nun im Juli 1945 ein. Die Kamera blickt auf die stilliegende Grube Morgenrot. Das Förderrad dreht sich nicht. (…) An einer Mauer klebt ein lädiertes Plakat: "Alles zerstören, vernichten! Nichts dem Feind überlassen!" Ein Bergmann klebt einen aktuellen Aufruf. Es wird zu einer Versammlung eingeladen. Zur Tagesordnung steht: die Wiederinbetriebnahme der Grube als volkseigener Betrieb. (…)
Diese gedankliche Konstellation ist dramaturgisch einfach, aber mit schlichter, gradliniger Überzeugungskraft realisiert. Zweifellos herrscht didaktische Rhetorik und Pathetik vor, aber es ist das selbstverständliche Pathos an einer historischen Zäsur. Es ist das Lehrstück vom großen Beginnen. Die "Geschichtsträchtigkeit" der historischen Episode erkannt und so erzählt zu haben, kann den Autoren respektvoll und lobend versichert werden. Denn was uns heute als die Tugend des Films "Grube Morgenrot", als seine Eigenart und Bedeutung in der DEFA-Frühphase erscheint, wurde von einigen Kritikern des Jahres 1948 als schier unzulässige Unterlassung und als schwerwiegender Makel empfunden und formuliert. (…)