Lieber Fidel. Maritas Geschichte

Deutschland 2000 Dokumentarfilm

Die Spionin, die ihn liebte

KZ, Kuba, JFK, CIS: "Lieber Fidel" erzählt aus den Hinterzimmern des Kalten Kriegs



Marita Lorenz macht kein Aufhebens um das Dallas-Kapitel. Gerade so, als sei die Tatsache, dass sie sich in unmittelbarer Nähe von Kennedys Mörder oder Mördern aufgehalten habe, nur eine Begebenheit unter vielen in einem wilden und gefährlichen Leben. "Lieder Fidel" ist darum nur vordergründig ein Roadmovie auf den Spuren ihrer einzigen großen Liebe. Der versierte Dokumentarfilmer Wilfried Huismann hat daraus ein Zeitpanorama gemacht, das Rückblicke in die Hinterzimmer des Kalten Krieges gewährt. Hintermänner wie der ehemalige dirty tricks operator der CIA, Bob Maheu, sind die Kronzeugen für Maritas Geschichte. Maheu erzählt vom Mordkomplott gegen Fidel Castro, dass er 1959 im Auftrag der US-Regierung mit Vertretern der Mafia eingefädelt hat. Auch wenn es paradox erscheint, sind es die Drahtzieher und Weggefährten aus der Twilight Zone der schmutzigen Operationen, die das Porträt dieser Frau seriös erscheinen lassen. In den USA ist die Marita Lorenz-Story umstritten. Macht sie das wütend? "Nein, ich weiß ja, was ich gemacht habe. Das ist wichtig!", erklärte sie, "und andere wissen auch, was passiert ist". Das muss reichen. Mit spektakulären Statements setzt sie sich nicht in Szene.

Natürlich waren US-Verlage hinter ihrer Geschichte her, doch die meisten Rechercheure kapitulierten vor den chaotischen Verstrickungen. Unter dem Titel "Marita" wurde schließlich eine Biografie veröffentlicht, die sich auf ein paar Telefoninterviews des Autors Ted Schwarz stützte. "Ach das," winkt sie ab, "ich habe ihn nie getroffen. Die Endfassung habe ich gar nicht gelesen. I believed the publisher, aber nie wieder! Da war kein Gefühl, keine Wärme. Der hat viel ausgelassen und viel reingetan". Die deutsche Übersetzung, die der Goldmann Verlag vor sechs Jahren herausbrachte, ist längst aus dem Programm getilgt.

Warum hat es nun ein deutscher Dokumentarfilmer geschafft, was in den USA bisher nicht zu realisieren war? "Weil ich in Amerika meine wahre Geschichte nicht schreiben würde," erklärte Marita Lorenz "Das wäre zu gefährlich. Die würden das auch nicht drucke. Ich möchte es lieber in Deutschland machen, hier bin ich offener und zufriedener und auch freier." Es ist schon in Arbeit das Buch mit der Geschichte hinter den Geschichten, die dieser Film nicht annähernd ausschöpfen konnte. "Mit Bildern und Dokumenten", verspricht Marita Lorenz. "Ich trau nur Willi jetzt", fügt sie in ihrem bremisch-amerikanischen Original-Akzent hinzu. "Er kriegt alles. Er hat die Papiere gesehen, es ist wichtig, dass die Wahrheit herauskommt."

Dass die Marita-Lorenz-Geschichte immer neue Überraschungen bietet, erfuhr Wilfried Huismann, als er sie nach Abschluss der Dreharbeiten in ihrer kleinen Wohnung im New Yorker Stadtteil Queens besuchte. Da präsentierte sie ihm, was sie seit zwölf Jahren in einer Kiste unter ihrem Bett gehortet hat: fast 300 handbeschriebene Seiten mit ihrer Lebensgeschichte. "Ich war fasziniert, weil sie wunderbar schreiben kann. Sehr detailliert und präzise auch über die Zeit in Havanna, über ihre Gespräche mit Che Guevara. Es sind Alltagsgeschichten, die ein wunderbares Porträt der Zeit abgeben." Aber auch das Bild einer Kindheit, die von einem Aufenthalt im KZ Bergen-Belsen überschattet war und die Vergewaltigung durch einen GI.

Der Aberglaube verbietet es, über Projekte zu reden, die noch nicht hundertprozentig unter Fach und Dach sind. Um dieses wäre es schade, denn die Geschichten über die Recherchen zu "Lieber Fidel", über Hintergründe und Hintermänner möchte man schon gern lesen.

Kaum einem, der in den USA etwas Seriöses zum Kennedy-Mord oder zu Kuba zu sagen hat, hat der mehrfach ausgezeichnete Reportage-Spezialist Wilfried Huismann ausgelassen: "Der langjährige Chef der Spionageabwehr hat mir gegenüber behauptet, dass er Agenten im Umkreis von Oswald hatte. Zu meiner Überraschung hat er Marita Thesen voll bestätigt. Der Jack Ruby die beiden Kommandeure beim Einsatz der Scharfschützen beim Mord an Kennedy waren." Immer wieder JFK, wo das Ziel der Reise doch Havanna war. Da wollte Marita Lorenz Fidel Castro noch einmal treffen, um ihr unfinished business mit ihm zu Ende zu bringen. Der aber lässt sie mit einem warmen Händedruck von seinem Sekretär abfertigen. Doch da wären auch noch die unerledigten Geschäfte mit "JFK"-Regisseur Oliver Stone. Dem hat Marita Lorenz damals bei der Recherche geholfen, hat mit ihm jeden Schritt rekonstruiert, den Oswald in Dallas hat". Pläne, ihre Story zu verfilmen, scheiterten. Warum Stone schließlich entnervt aufgab und Marita irgendwann mit 25000 Dollar abgefunden hat, auch darüber kann nur spekuliert werden. Ein Knebelvertrag mit einer deutschen Verlagsagentur mag die Dinge unnötig kompliziert haben.

"Er ist immer noch interessiert", glaubt Marita Lorenz. "Er will es authentisch machen und keine Fiktion. Vielleicht ist dieser Film ja eine offene Tür für ihn." Für Marita Lorenz ist dieser Film so etwas wie eine Rückfahrkarte in die alte Heimat. An diese Hoffnung klammert sie sich. Jetzt will sie, schwer herzkrank, ur noch ein Häuschen und ein Kalb. Irgendwo in der Nähe von Bremen, wo auch Wilfried Huismann lebt.

Vor 15 Jahren hörte er dort zum erstenmal vom Skandal um die Tochter des Kapitäns der Norddeutschen Lloyd, Heinrich Lorenz. Was aus der damals 19-jährigen Marita geworden ist, die 1959 als Castro Geliebte nach Kuba ging, wusste keiner. Huismann hat sie aufgespürt. Mit investigativer Routine hat er ihre Geschichte abgeklopft. "Ich habe aus allen Abschnitten ihres Lebens erfahren, dass man in den USA versucht hat, sie als unglaubwürdige Spinnerin darzustellen. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass alles stimmt". Es liegt auf der Hand, dass die Arbeitgeber von Marita Lorenz kein Interesse daran hatten, ihre Aussagen zu bestätigen. "Marita war wie Frank Sturgis bei schmutzigen Operationen des CIA eingesetzt, für diese Leute gab es keine schriftlichen Verträge. Und wenn man heute beim FBI nachfragt, dann sagen die, wie haben keine Unterlagen über diese Frau. Die hat nie für uns gearbeitet." Nur Al Chestone, in den 70-er Jahren in New York ihr Führungsoffizier, hat ihre Spionagetätigkeit für das FBI ausdrücklich bestätigt, "weil er es für eine Schweinerei hält, dass man sie nun als unglaubwürdig darstellt". Schließlich hätte sie damals exzellente Arbeit geleistet.

So fügt sich Aussage für Aussage in Huismanns Film zu einem verblüffendem Puzzle. Er ist spannend und dabei tragikomisch wie die Heldin, außerdem von Kameramann Reinhard Gossmann bemerkenswert fotografiert. Marita Lorenz mag diesen Film. Sie wird nicht müde ihn anzusehen. Vor allem liebt sie die Musik. Meint sie jetzt von Klaus Doldinger oder die kubanische? Der "Liebe Fidel" übrigens, sieht ziemlich alt aus.

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