Die Furchtlosen Vier

Deutschland 1995-1997 Animationsfilm

Die furchtlosen Vier


Daniel Kothenschulte, film-dienst, Nr. 20, 30.09.1997

Als Walt Disney 1922 seine ersten Filme zeichnete – freche, in die Gegenwart versetzte Märchenadaptionen – , waren auch die "Bremer Stadtmusikanten" darunter. Es ist kaum zu verstehen, warum sein Studio in späteren Jahren der Versuchung widerstand, dieses poesievolle Tiermärchen der Gebrüder Grimm in einen Langfilm zu verwandeln. Überhaupt kennt die an Märchenvariationen so reiche Filmgeschichte nur wenige Adaptionen der Vorlage: Hubert Schongers schon zur Entstehungszeit antiquiert wirkende Version aus den 50er Jahren scheute sich nicht, die Hauptrollen von mit Tiermasken notdürftig kostümierten Schauspielern verkörpern zu lassen. Abgesehen von einem hübschen kurzen Puppenfilm der Diehl-Brüder entdeckte erst Jim Henson Anfang der 70er Jahre das wahre Potential der Geschichte für eine hinreißende Muppet-Fernsehversion.

Nun, da erstmals in größerem Umfang in Deutschland abendfüllende Trickfilme produziert werden, erscheint die Wahl des für den Trickfilm reizvollen Stoffs besonders glücklich. Verlegt in die Gegenwart, erlebt man in der Exposition in kurzen Episoden die unterschiedlichen Schicksale der Helden, die es aus verschiedenen Gründen auf Wanderschaft zieht: Buster, der Jagdhund, soll verkauft werden, weil er lieber mit hübschen Füchsinnen tanzt als sie zu jagen; Fred, der Esel, wird dem Abdecker überstellt, nachdem der Müller zur Automatisierung übergegangen ist; die Katze Gwendolyn, die von ihrer verstorbenen Herrin ein Vermögen erbte, soll aus naheliegenden Gründen aus dem Weg geräumt werden; Gockel Tortellini schließlich wird von seinen weiblichen Artgenossinnen vertrieben, weil inzwischen selbst in Hühnerställen eitles Machogehabe unpopulär geworden ist. Das so aufeinandertreffende Quartett entdeckt alsbald seine Liebe zum Gesang, doch erst in der Großstadt gibt es Möglichkeiten, als Straßenmusikanten zu reüssieren. Eigentlich hatte man zu diesem Zweck nach Paris reisen wollen, doch das nahegelegene Bremen ist verlockend genug - auch wenn auf dem Ort ein Fluch lasten soll. Ein ominöser Dr. Gier und sein Großkonzern "Mix-Max" tyrannisieren die Hansestadt, in der seither Singen und Lachen verboten sind. Den Tieren aber macht Dr. Gier ein verlockendes Plattenangebot. Als sie sich jedoch weigern, die Werbehymne des Konzerns anzustimmen, lernen sie die finsteren Verliese kennen, in denen sie mit zahlreichen anderen Vierbeinern vor den firmeneigenen Schlachtmaschinen zittern müssen. Ein Trick aber eröffnet ihnen die Freiheit: scheinbar zur Reue gekommen, stimmen sie bei einer Fernsehgala die Werbehymne an, die sie zum revolutionären Freiheitslied umgedichtet haben.

Nicht erst die "bandits" in Katja von Garniers gleichnamigem Musikfilm versuchen die Aufbruchsutopien ihrer Songs zu realen Fluchten zu nutzen – im Tierreich ist dergleichen schon lange bekannt. Eine einfache, klare Handlungsidee und hübsche Figurenentwürfe heben die Produktion deutlich von der Masse ab, und es ist gerade der Verzicht auf überschäumenden Aktionismus, rasantes Tempo oder anekdotische Nebenhandlungen, die den Film (etwa gegenüber Don Bluths Märchenadaptionen) auszeichnen. Insbesondere der kindlichen Wahrnehmung kommt die sorgfältige Arbeit an den einzelnen Charakteren sehr entgegen. Problematischer ist das ästhetische Konzept einer durchgängigen Kombination von Zeichentrick und Computeranimation. Da überzeugt zwar der Ansatz, die feindselige Technik und den Großstadtmoloch Bremen mit Computermitteln zu animieren – der visuelle Eindruck aber bleibt uneinheitlich. Es scheint, als habe man es mit einem jener kombinierten Trick- und Realfilme zu tun, in denen flächige Trickfiguren vor fotografierten Schauplätzen agieren. Diesen Zwiespalt hätte man nur lösen können, indem man für eine plastische Modulation der Animationszeichnungen wie in "Falsches Spiel mit Roger Rabbit" (fd 27 150) gesorgt hätte. Stattdessen wurde versucht, auch gemalte Hintergrundzeichnungen wie Fotografien zu behandeln, indem man sie in Unschärfe rückte. Vom Reiz jener "Multiplan"-Effekte, wie sie Disney einführte, um die Flüchtigkeit der Zeichnung zu überwinden, ist dies weit entfernt - statt realer Plastizität entsteht eher ein Eindruck des Disparaten, und gerade die Schönheit guter Hintergrundmalerei wird verschenkt. Auch die Idee eines "Metropolis" Bremen (Dr. Gier trägt die Züge des Mabuse-Darstellers Rudolf Klein-Rogge) überzeugt kaum und widerspricht insbesondere dem realen Charakter dieser Stadt. In fast jedem japanischen Anime sieht man diese finsteren Großstadtvisionen. Wie reizvoll wäre es dagegen gewesen, ein Gefühl für die existierende Hansestadt und ihre Mischung aus alter und neuer, aus Wohn- und Industriearchitektur im Trickfilm zu vermitteln?

Unverständlich ist die Entscheidung, alle Beschilderungen im Bild in englischer Sprache zu halten – in einem amerikanischen Film, der in Deutschland spielte, wären sie deutsch. Ästhetisch gesehen, erweckt vor allem die zweite Hälfte den Eindruck, als habe Dr. Giers leblose Technik selbst einen Teil der Gestaltung des Films übernommen. Dies ist um so bedauerlicher, als gerade die konventionell animierten Passagen vorzüglich gelungen sind. In Verbindung mit dem reizvollen und kindgerechten Drehbuch hätte aus diesem achtbaren Film ein deutscher Trickfilmklassiker werden können.

Rights statement