Schramm
Böse Möse
Katja Nicodemus, TIP Magazin, Nr. 1, 1994
Schüchtern und freundlich ist Lothar Schramm, auch zu den christlichen Heilsvertretern, die gerade vor der Tür stehen und sich nach seinem Verhältnis zu Gott erkundigen. Kaffee und Cognac bekommt das fromme Paar serviert; "Ich freu" mich, daß Sie hier sind", sagt Schramm, verleiht dem Satz dann aber eine gewisse Zweideutigkeit, indem er dem männlichen Propheten ganz unvermittelt die Kehle durchsäbelt und der Dame den Schädel einschlägt.
In einem amerikanischen Dokumentarfilm berichtet ein Serienkiller von seiner Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung, die fast unerträglich wurde, als er eines Tages, wieder mit einem Frauenkopf in der Tasche, im Treppenhaus auf ein flirtendes Pärchen traf. Schramms Sehnsucht gilt der Nachbarin, einer jungen Nutte, die er bei der Arbeit belauscht während er einen armseligen Gummitorso bumst.
Ausgelassen sieht sich Schramm beim Walzertanzen, mit der Schönen. In Wahrheit verabreicht er der Frau ein Schlafmittel, streichelt und photographiert die Bewußtlose und holt sich unter eifersüchtigen Beschimpfungen einen "runter. Wie zum Geschlechtsakt drapiert er die Leichen seiner Opfer und nimmt sie mit einer Polaroidkamera auf. Kurze Einschübe in Super-8, gelbe Blumen und spielende Kinder am Strand künden von einer Zeit, als Schramm noch nicht Schramm war und keine Angst zu haben brauchte.
Mit irritierenden Schnitten und Anschlüssen führt Jörg Buttgereit den Zuschauer in Schramms Wahrnehmnung, wo Ängste und Visionen mit der Wirklichkeit zusammenfließen. Eine schleimige Vagina mit bedrohlichen Zähnen findet Schramm eines Morgens zwischen seinen Beinen im Bett, ein anderes Mal schmatzt ihn das Monstrum aus einer Schublade an. In umgekehrter Chronologie baut der Regisseur die fleischgewordenen Phobien in die Handlung ein. Zunächst sieht man Schramm mit blutbefleckter Unterhose Gymnastik treiben, in der nächsten Szene nagelt er seinen Penis am Tisch fest. Zu Anfang des Films fällt ein Holzbein zu Boden, der unversehrte Schramm wird später durch den Wald joggen und liegt plötzlich mit blutigem Beinstumpf im Bett. Mit solchen Wechselspielen gelingt Buttgereit das Kunststück einer filmischen Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. So gewinnt die Wahnvorstellung von der Prothese Oberhand über das gesunde Bein und führt zu Schramms Todessturz von der Leiter.
Während der scheue Mörder sein Leben in einer Lache weißer Farbe aushaucht, pocht die Nachbarin ungeduldig an die Tür. Er soll sie bei einem dubiosen SM-Auftrag begleiten. Eine ergreifende letzte Einstellung zeigt, dass die Nutte Schramm wirklich gebraucht hätte. Aber der ist schon auf dem Weg zum Himmel und bekommt gerade von Jesus den Schädel eingeschlagen.