Unterm Birnbaum

DDR 1973 Spielfilm

Angelehnt an einen Stoff von Fontane


Rolf Richter, Neues Deutschland, Berlin/DDR, 22.11.1973


"Unterm Birnbaum" ist eine der wenigen Kriminalgeschichten unserer Literatur mit literarischem Anspruch. Fontanes Interesse gilt nicht so sehr den äußeren Umständen, unter denen in einem Oderbruchdorf im Jahre 1831 ein Mord aufgedeckt wird, sondern vielmehr den Motiven, die den Gastwirt Hradschek und seine Frau zu Verbrechern machten. Es war vor allem das hinter dem Satz "Armut ist das schlimmste, schlimmer als Tod…" verborgene Entsetzen, das beide zwang, ihre gesellschaftliche Position zu halten und sich als von außen Kommende und auch intellektuell Überlegene in der festgefügten Dorfhierarchie zu behaupten. Fontane beschreibt die wechselnden Stimmungen der Dorfleute gegen die Hradscheks in einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen, in treffenden Porträtstudien und legt die soziale Lage des Dorfes klar und übersichtlich vor uns hin.

Will man nicht nur den Stoff mehr oder weniger äußerlich vermitteln, kommt es für einen Film darauf an, einen Punkt zu finden, von dem aus ein gegenwärtiges Interesse an der Geschichte angeregt wird. Das aber wird nicht sichtbar. War es die Kriminalgeschichte, das psychologische Drama, die soziale Analyse des Dorfes, der nicht zu durchbrechende Teufelskreis der Vorurteile und des bornierten Verhaltens, was Ralf Kirsten interessierte? Zu allem gibt es Ansätze, aber es fehlt der organisierende Gedanke, der Punkt, der die Teile verbindet und lebendig werden läßt.

Dabei ist es wirklich zu akzeptieren, daß (…) eine Erzählweise versucht, in der Details bestimmte Zusammenhänge andeuten, charakteristische Dialoge soziale oder psychologische Situationen aufreißen sollen. Den Schauspielern möchte er eine entscheidende Funktion geben. Aber diese Bemühungen verhindern nicht ein merkwürdiges Nebeneinander von einzelnen Handlungssequenzen. Das Interesse am Geschehen, das von bestimmten Details der Inszenierung immer wieder angeregt wird, hält sich über weite Strecken nicht. Es gelingt kein organischer Rhythmus der Handlungsentwicklung, obwohl das gerade für diese Geschichte notwendig wäre.

Diese Unausgeglichenheit zeigt sich auch im Aufbau der Figuren. Ich hatte den Eindruck, als ob gerade die wichtigsten Gestalten, etwa der Hradschek (Erik S. Klein) und seine Frau (Angelica Domröse), bestimmte Beweggründe ihres Handelns vor uns verbergen. Es wurde nicht klar, ob ihre Beziehungen auf eine wirkliche Liebe gegründet sind, ob diese Liebe bereits abgestorben ist, oder ob es zwischen beiden nur einen Pakt gibt, sich ein angenehmes Leben zu sichern und gemeinsam zu behaupten. Man spürt deutlich, wie Angelica Domröse dem physischen und psychischen Zusammenbruch dieser Frau Intensität und innere Logik zu geben versucht –, wie groß ihre Voraussetzungen dazu sind, bewies sie in letzter Zeit sowohl im Film als auch im Theater –, aber die Gestalt bleibt gleichsam nur ein Schattenriß. Auch das Dorf und seine Bewohner werden nicht sinnfällig genug erfaßt. Die Figuren sind zu sehr auf äußerlichen Kontrasten aufgebaut. Trotz einiger schöner Aufnahmen (Kamera Wolfgang Braumann) vermißte ich eine genauere Beschreibung der Landschaft des Oderbruchs und eine umfassendere Beobachtung der Lebensumstände der Dorfleute.

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