Januskopf

DDR 1971/1972 Spielfilm

Januskopf


Peter Ahrens, Die Weltbühne, Berlin/DDR, 10.10.1972


Anspruch und Wichtigkeit des Problems in "Januskopf" sind nicht zu übersehen. Für den erfolgreichen Anlauf eines RGW-Instituts für Humangenetik wird die Teilnahme des weltberühmten, in der DDR lebenden Dr. Hülsenbeck als nötig unterstellt. Dieser weigert sich. Er hat die USA wegen des drohenden Mißbrauchs der in ihren Folgen unabsehbaren genetischen Erkenntnisse verlassen; er züchtet Nutztiere, er will nichts mehr tun für Forschungen, deren Ergebnisse, ihm aus den Händen genommen. "irrläufig" werden können. Brock, ein Staatssekretär, ringt um seine Zusage, verständnisvoll, geduldig. Zu geduldig, wie der sowjetische Minister Slatko ihm vorwirft. Der Wettlauf gegen die barbarischen Konzeptionen imperialistischer Kreise duldet keinen weiteren Verzug.

Marx" Alternative "Barbarei oder Sozialismus" für die Zukunft der Menschheit wird durch die beängstigenden und hoffnungsvollen Perspektiven dieser Wissenschaft alarmierend bestätigt. Was aber macht die Auseinandersetzungen vor diesem Hintergrund so zähflüssig? Hülsenbeck. zunächst ernsthaft exponiert, wird in seinen Argumenten viel niedriger angesetzt, als der ehrgeizige thematische Anspruch des Films erlaubt. Das wirkliche Dilemma der Hülsenbecks, mit ihren Forschungsergebnissen sich in einer Welt zu sehen, die zur Hälfte politisch, sozial und moralisch gefährliche "Verspätung" hat, die Angst vor dem Funken am Pulverfaß, ihr Mißtrauen nach allen Seiten streift der Film nur. einmal. andeutend – und er läßt Brock in moralisierend-gekränkte Reaktionen ausweichen. Zwischen Brock und Slatko geht es überhaupt nur um taktische Reflexionen, mühsam "verlebendigt" durch Slatkos Ehekonflikt und die schwere Geburt von Brocks Kind.

In der Mitte des Films fällt etwa folgender Satz: "Wenn ich dich nicht so gut kennen würde … Aber ich weiß. du wirst es schaffen." Hier liegt, glaube ich, einer der Irrtümer des Films. und dieser ist unerlaubt alt. Der Zuschauer erträgt nämlich die noch folgenden Debatten nur mit Mühe. weil auch er sich des vorprogrammierten Ausgangs gewiß ist und auf dem Wege dorthin keine neuen gedanklichen oder charakterlichen Entdeckungen mehr machen kann. Wenn man sich die Dramaturgie des Films einen Moment auf ein weniger sensationelles Gebiet versetzt vorstellt, sieht man sich vielen Merkmalen alter Diskutier- und Überzeugungsgeschichten gegenüber. die nicht besser werden, wenn man sie statt unter Gewerkschaftern,
Brigadieren und Werkleitern unter Humangenetikern von Weltbedeutung ansiedelt. Das scheint mir der zweite Irrtum. So bleibt der Informationswert: Der Zuschauer erfährt etwas von der komplizierten Problematik der Humangenetik, ihren Möglichkeiten und Gefahren. Das aber könnte ein auf Information über ein Weltproblem orientierter Dokumentarfilm mit mehr Gründlichkeit, Brisanz und Überzeugungskraft.

Kurt Maetzig und seine Mitarbeiter, offensichtlich ehrlich erregt vom Material und von aufklärerischem Anliegen, verfingen sich in alten und neuen Irrtümern, ihr Film blieb so selbst "janusköpfig#": Über ungeheure Zukunftsdimensionen redend, bewegt er sich in den Bahnen alter Wirkungskonzeptionen.

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