Irgendwo in Berlin

Deutschland (Ost) 1946 Spielfilm

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Falk Schwarz
Die Botschaft hör' ich wohl...
Woher kommt das ambivalente Gefühl, das dieser Film hinterlässt? Hängt es damit zusammen, dass in der Reihe „Brüche und Kontinuitäten“ der Defa-Stiftung und der Friedrich-Murnau-Gesellschaft der Film „Diesel“ mit diesem Film des Regisseurs Gerhard Lamprecht in einem Paket zusammengeschnürt ist? „Diesel“ lässt sich nicht so leicht abschütteln. Daran muss Lamprecht sich messen lassen. Die spielenden Kinder in der zerbombten Großstadtlandschaft Berlins haben viel zu tun mit Lamprechts Erfolg "Emil und die Detektive". Den verzweifelten Menschen durch die Kinder eine Parabel zuzuspielen, die für Neuanfang und für Mut steht und alle Lärmoyanz vermeidet, ist sicher ein kluger Kunstgriff des Regisseurs. Das erklärt aber noch nicht die Ambivalenz. Wollte der Regisseur sich für „Diesel“ entschuldigen? Tätige Reue zeigen? Eher nicht, weil die wahren Ursachen für die Zerstörung des Landes nicht einmal angesprochen werden. Stattdessen Einzelschicksale. Der kleine Gustav (Charles Brauer, aus dem später ein bekannter Darsteller wurde), der seinen besten Freund verliert, weil er - eher unmotiviert - auf eine hochaufragende Ruine klettert und herunterfällt. Auch Fritz Rasp ist wieder dabei, der schon in „Emil“ den Bösen spielte. Ein schlanker Hans Leibelt, der mit Güte und Verständnis die Jungen beeindruckt. Zynisch, was der Schwarzhändler (Paul Bildt) als Lektion für den Jungen bereithält: „Lernt nichts, dann müsst ihr auch nicht arbeiten.“ Das alles macht die Ambivalenz aber nicht aus. Es ist eher dieser erhobene Zeigefinger, der schon in „Diesel“ zu spüren war: ich sage euch, wie ihr zu denken habt! Hier ist es eher: schafft nur schön, dann gelingt der Wiederaufbau, dann ersteht dieses Deutschland neu, wenn wir alle zusammenstehen, können wir es schaffen! Dagegen wäre vielleicht gar nicht so viel zu sagen, aber dass alle Opfer waren und niemand Täter - das ist schlicht nicht hinzunehmen. Die alte Ideologie steckte noch tief im System.
Heinz17herne
Heinz17herne
Eine zwielichtige Gestalt, der Taschendieb Waldemar, wird von einer ganzen Kinderschar verfolgt. Als er sich in eine noch halbwegs intakte Kellerwohnung unter einem gewaltigen Schuttberg flüchtet, sitzt er in der Falle: Gustav hat den Verfolgten eingesperrt, aber nur für kurze Zeit. Und ein Verräter ist er auch nicht: Gustav nimmt den hageren Kerl mit nach Hause, damit sich seine Mutter Grete dessen zerschlissener Jacke annimmt. Weil Vater Paul Iller noch nicht heimgekehrt ist, wenn er denn überhaupt noch irgendwo als Kriegsgefangener lebt, kümmert sich Onkel Kalle, der Tischler Karl Röper, um die beiden. Und das ausgesprochen liebevoll, hat er doch mehr als nur ein Auge auf die noch junge Grete geworfen.

Halbwegs zum Haushalt dazu gehört auch Gustavs bester Freund Willi, ein Flüchtlingskind, dessen Eltern verschollen sind. Frau Schelp, die mit Birke, Besitzer eines kleinen Papierwarenladens und eines großen Schieber-Warenlagers, offenbar mehr als nur ein Miet-Verhältnis unterhält, bemüht sich liebevoll um Willi, als wärs ihr eigenes Kind, findet darin aber kein Verständnis beim zwielichtigen Birke. Willi fühlt sich eher, wie im übrigen auch Gustav, zum alten Eckmann hingezogen, der in seiner kleinen Bude Bilder malt und von allen Erwachsenen am meisten Verständnis aufbringt für die kleinen Rabauken: die hätten schließlich nichts anderes gelernt als Krieg zu spielen.

Erst als eine Rakete in sein Atelier einschlägt, ist Eckmann darum bemüht, das gefährliche Spiel mit Feuerwerkskörpern zu unterbinden. Welche die Kinder, im Gegenzug für Lebensmittel, vom Hehler Birke erhalten haben. So ist Eckmann ganz froh darüber, dass sich die Polizei für diese ganz spezielle Geschäftsbeziehung interessiert. Und dann steht Paul Iller in der Tür: ein abgekämpfter, physisch und psychisch ermatteter Kriegsheimkehrer, der als erstes das Kriegsspielzeug seines Sohnes zertritt. Und auch sonst zerstört er Gustavs Illusion von einem starken, selbstbewussten, die Familie beschützenden und ernährenden Vater: An einen raschen Wiederaufbau der zerstörten Garagen ist nicht zu denken. Auch in der Werkstatt von Onkel Kalle steht er nur sich selbst im Wege: „Ich habe keine Kraft mehr, mir wird alles zuviel.“

Durch Zufall findet Paul hinter der Anrichte eine prall gefüllte Geldbörse – und die Adresse des Eigentümers. Gustav schwant, dass Waldemar sie hier deponiert hat aus Angst vor der Polizei, die sich kurz blicken ließ, als sich der Taschendieb seine Jacke nähen ließ. Vater und Sohn bringen den kleinen Schatz an den rechtmäßigen Besitzer zurück – und ernten vom Tingeltangel-Wirt Timmel und seiner Muse nur spöttische Bemerkungen. Undank ist der Welten Lohn – und nicht gerade eine Aufbauhilfe für Pauls Ego.

Es ist nur ein schwacher Trost, dass er von Hansotto Steidel als Leidensgenosse angesehen wird: Auch dieser ist an Leib und Seele völlig kaputt aus dem Krieg heimgekehrt, vergräbt sich in sein Zimmer. Seine Mutter kriegt ihn kaum einmal an die frische Luft – und unter andere Leute schon gar nicht. So werden die beiden immer wieder zur Zielscheibe der Spottgesänge der sich um ihren „Kapitän“ scharenden Jungen, deren von den Nazis geprägtes Menschenbild nur aus Helden, so hart wie Kruppstahl, besteht. Und die natürlich noch nicht begreifen können, dass gerade diese Helden für die Trümmerlandschaft, ihren großen und so gefährlichen Abenteuerspielplatz, verantwortlich sind. Sie wollen selbst Helden sein und verachten alle Jammerlappen.

Willi, der als einziger für Gustav und seinen Vater Partei ergreift, fühlt sich vom „Kapitän“ zu einer besonderen Mutprobe herausgefordert, besteigt den fragilen Dachfirst eines Trümmerhauses – und stürzt in den Tod. Nach einer gefühlt stundenlangen und im Gegensatz zum ansonsten sehr realistisch-zurückhaltenden Film melodramatischen Sterbeszene Willis, bei der Eckmann die ganze „Bande“ am Totenbett versammelt hat, ist der Weg frei für den Neuaufbau: die Ruine wird gesprengt, die Kinder helfen fleißig mit – und Gustavs Vater Paul aufs Fahrrad: „Ich weiß ja gar nicht wie das ist, ein Mensch zu sein. Ich werd's schon lernen.“

„Irgendwo in Berlin“, der dritte Defa-Film nach Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ und Milo Harbichs „Freies Land“, beginnt nicht zufällig wie „Emil und die Detektive“, Gerhard Lamprechts zum Welterfolg gewordene Erich-Kästner-Verfilmung von 1931 mit Fritz Rasp. Der Regisseur versucht an seine sozialkritischen Filme der 1920er und beginnenden 1930er Jahre wie „Die Verrufenen“ und „Menschen untereinander“ anzuknüpfen - ideologisch wie filmästhetisch. Unterstützt wurde Lamprecht dabei vom sehr distanzierten Doku-Stil seines Kameramannes Werner Krien, der bereits mit den Außenaufnahmen in der Trümmerlandschaft der ehemaligen Reichshauptstadt beschäftigt war, als am 17. Mai 1946 in der großen Halle des Althoff-Ateliers in Babelsberg mit dem Segen, wenn nicht gar auf Betreiben der sowjetischen Besatzer, der Ufa-Nachfolger Defa aus der Taufe gehoben wurde.

Pitt Herrmann

Credits

Screenplay

Director of photography

Editing

Music

Cast

All Credits

Screenplay

Director of photography

Still photography

Production design

Editing

Music

Cast

Unit production manager

Original distributor

Duration:
2329 m, 85 min
Format:
35mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Uraufführung: 18.12.1946, Berlin, Deutsche Staatsoper

Titles

  • Originaltitel (DE) Irgendwo in Berlin

Versions

Original

Duration:
2329 m, 85 min
Format:
35mm, 1:1,33
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Uraufführung: 18.12.1946, Berlin, Deutsche Staatsoper