Veritas Vincit
Der deutsche Prunkfilm
C. B. (= Carl Boese), Der Film, Nr. 15, 12.4.1919
Sechs Monate wartete die deutsche Filmindustrie, das deutsche und zumal das Berliner Publikum auf den Augenblick, da der gewaltigste deutsche Film in die Öffentlichkeit gelangen sollte – bis Presse und Anschlagsäule, bis überlebensgroße Plakate und gar Flugzeuge den Berlinern den Termin bekanntgaben, an welchem "Veritas vincit" aus der Taufe gehoben werden sollte. Der 4. April: ein Denktag für die deutsche Filmindustrie. Weil wir an diesem Tage vor der Öffentlichkeit bewiesen haben, daß wir den Mut und die Mittel, das Können und die Köpfe haben, es "dem gefürchteten Ausland" gleichzutun... Joe May hat für die Universum-Film-Aktiengesellschaft diesen Film inszeniert. Den größten deutschen Film. Ein Werk, welches wie die berühmten Vorbilder "Quo vadis", "Cleopatra" und andere Weltruhm erringen wird. (...)
Joe May hat wohl die Hauptarbeit geleistet und trägt das Hauptverdienst. Sowohl in den glänzend gegliederten und bewegten Massenszenen wie in der Stilsicherheit, sowohl im fein ausgearbeiteten Spiel der Ensembleszenen wie in den tausend Einfällen oft kleinster Nuance zeigt sich die sichere, zielbewußte Größe dieses Regisseurs, der mit diesem Film wohl sein Meisterwerk schuf und damit einen Erfolg an ideellem Werte für sich selbst wie für eine ganze Industrie errang, wie er bisher beispiellos ist.
Die Ausstattung des Films besorgte Paul Leni. Dank der für deutsche Verhältnisse grandiosen Mittel konnte er auch Grandioses schaffen. Die altrömischen Motive, ganz besonders der Schloßbau (den er auf dem Gelände der Rennbahn in Weißensee errichtete) und die altrömische Straße, sind geradezu monumentale Bauten, die, von Tausenden bevölkert, unerhörten Eindruck machen. Als wesentlich für seine Leistung muß die Natürlichkeit und Glaubhaftigkeit der von ihm geschaffenen Räume gelten, die stets als geschlossenes Bild anmuten und doch den Eindruck der Bewohnbarkeit machen.
Technisch dürfte der Film wohl das Beste sein, was wir bisher schufen.Prof. Ferdinand Hummel, schon ganz Filmkomponist, schrieb dem Film eine Begleitmusik, in der man zwar hie und da ein wenig an seine Hindenburgiade erinnert wird, die aber im ganzen und großen der Stimmung gut angepaßt ist.Lang ist der Film ja. 3 1/2 Stunden in verdunkeltem Saal vor der lebenden Leinwand zu sitzen, bedeutet immerhin eine Anstrengung. Aber man fühlte sie angesichts der Größe und Stärke dieses Werkes erst nach dem Ende. Und dieses Ende klang in das aus, was sich jeder, der daran mitgearbeitet, verdiente: eine Ovation, die bezeichnend war für die Stimmung des Publikums, die wohlverdient, ja, Pflicht war, und die letzten Endes diesmal nicht nur eben den Mitwirkenden, sondern auch dem deutschen Film als solchem mit galt ... Der deutsche Film ist auf der Höhe! ...