Flammend' Herz

Deutschland Schweiz 2003/2004 Dokumentarfilm

Flammend" Herz



Hans Messias, film-dienst, Nr. 22, 28.10.2004

"Diese schwarzen Vierecke auf seinen Backen, das konnten im Leben keine Heftpflaster sein. Das waren Zierrate ganz anderer Art. Zuerst wusste ich nicht, was ich draus machen sollte, doch dann dämmerte mir eine Ahnung der Wahrheit. (…) Seine Beine waren womöglich noch ausgiebiger gemustert: als ob ein Haufen dunkelgrüner Frösche an jungen Palmenstämmen hinaufklettern. Kein Zweifel mehr: er musste irgendein widerwärtiger Wilder oder etwas ähnliches sein." So schildert Herman Melville in "Moby Dick" die erste Begegnung zwischen dem Seemann Ismael und dem aus einem Südseeatoll stammenden Harpunier Quiqueg. In der Tat lastete Tätowierungen – auch in nicht allzu ferner Vergangenheit – der Ruch des Andersartigen oder Abenteurertums an. Stigmatisierung und Ausgrenzung waren die Folgen. So mancher wird sich vielleicht noch an scheele Blicke auf wenig kunstvolle "Knasttattoos" erinnern, die die Hände ihrer Besitzer "zieren" und verschlüsselte Botschaften aussenden sollen. Heute gehört dies weitgehend der Vergangenheit an; Tattoos haben sich durchgesetzt und sind längst zum modischen Aperçu gereift.

"Flammend" Herz", das Debüt von Andrea Schuler und Oliver Ruts, der selbst Tätowierer war, handelt von Geschichten und Geschichte aus einer anderen Zeit, als die Leidenschaft für Körperbilder noch eng mit dem Kiez verbunden war und man sich quasi nur unter Gleichgesinnten outen konnte. Im Mittelpunkt stehen die "Bilderbuchmenschen" Albert, Herbert und Karlmann, rüstige Herren weit über die 80, deren Lebenswege sich in den 1960er-Jahren kreuzten, als sie teilweise gemeinsam in Herberts "Ältester Tätowierstube" nahe der Hamburger Reeperbahn arbeiteten und lebten, wobei sie eine scheinbar unzerbrechliche Freundschaft verband.


Die Protagonisten enthüllen nach und nach ihre bewegten Lebensgeschichten und auch ihre Homosexualität (nur Albert, dessen Körper zahlreiche Frauenfiguren zieren, war zeitlebens dem weiblichen Geschlecht zugetan) und erweisen sich dabei als absoluter Glücksgriff. Berichten sie doch nicht nur von ihren Schicksalen, den Anfeindungen, denen man ausgesetzt war, und den mannigfaltigen Kontakten, die ihre verpönte Leidenschaft zu Gleichgesinnten schuf; ihre Geschichten verbinden sich auch zu einer Chronik der Tätowierkunst in Deutschland über die letzten 100 Jahre hinweg. Dabei nimmt der Film keine affirmative Position ein, sondern konstatiert primär und ist, seinem Sujet entsprechend, visuell außerordentlich reizvoll gestaltet. So werden die Erzählstränge von Tattoo-Leidenschaft und Freundschaft immer wieder von Szenen unterbrochen, in denen die alten Herren vor schwarzem Hintergrund posieren, voller Stolz ihre Tätowierungen zur Schau stellen und anhand der Bilder ihr Leben erklären: Herbert etwa, dessen "Flammendes Herz" an den Russlandfeldzug und seine Gefangenschaft erinnert, oder Karlmann, Spross einer Kieler Kaufmannsfamilie, der sich nur mit Mühen der vielen Zwänge entziehen konnte und dessen früheste Tätowierung, eine "Seejungfrau", an seine verdrängte Sehnsucht nach der Seefahrt erinnert. Mitunter nimmt diese (Selbst-)Darstellung liebevoll-komische Züge an, etwa wenn Albert stolz seine stilisierten Frauenbilder präsentiert, ohne sie noch eindeutig seinem bewegten Leben zuordnen zu können. Erinnerungen verblassen genauso wie Tattoos.

Für eine tragikomische Note sorgt die Rahmenhandlung, in der Albert und Karlmann auf einer Bank vor Deutschlands "Ältester Tätowierstube" auf ihren Kumpel warten, der seinen Lebensabend in der Schweiz genießt und als anerkannter Fachmann gern gesehener Gast auf internationalen Convents ist. Erst allmählich erfährt man, dass ein Erbschafts- und Wohnrechtstreit die Freundschaft der drei zerrüttet hat, die sich nun nach langer Zeit zum ersten Mal wieder begegnen. Für Herbert ist der Platz in der Mitte reserviert, und als er endlich Platz genommen und man noch einmal die Sitzordnung besprochen hat – auch im Sinne eines symmetrisch ausgewogenen Filmbildes – , kann es der Zugereiste nicht lassen, die Harmonie durch eine kleine Stichelei zu hinterfragen. So ist "Flammend" Herz" ein höchst interessantes und vielschichtiges Filmporträt, das zudem mit der Tatsache konfrontiert, dass sich hinter dem aktuellen Trend auch Geschichte verbirgt, die nicht nur als modisches Aushängeschild der Jugendkultur "hip" war, sondern für wahrhafte Empfindungen stand. Damit gelingt es dem Film, für Toleranz zu werben und eine Weisheit zu vermitteln, die schon Melville formulierte: "Es ist nur äußerlich, und in jeder Haut kann ein anständiger Kerl stecken."

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