Führer Ex
Führer Ex
Stefan Reinecke, epd Film, 02.12.2002
Am Anfang sieht man einen langen Schwenk über Ostberlin in grobkörnigen Bildern mit verwaschenen Orwo-Farben. Erich Honecker tätschelt einem Kind den Kopf, ein Furcht erregendes Thälmann-Denkmal wird enthüllt, dazu hört man die DDR-Nationalhymne in einer New-Wave-Version. Davon handelt "Führer Ex", mehr als von allem anderen: von dem Widerspruch zwischen jugendlicher Lebensgier und der Kleinbürgerdiktatur, die in Honeckers sandfarbenem Trevira-Anzug ihren perfekten ästhetischen Ausdruck fand.
"Führer Ex" erzählt die Geschichte von zwei Freunden. Heiko (Christian Blümel) ist ein bisschen punkig, blondierte Haare, ein Jungengesicht, dem man das Kind noch ansieht. Tommy (Aaron Hildebrand) ist proletarischer, derber, energischer. Tommy macht in der Kneipe erfolglos Mädels an, Heiko wird angemacht, erfolgreich. Winfried Bonengel erzählt diesen Beginn knapp, elliptisch und gekonnt. Er braucht nicht viele Worte, um das Personen-Dreieck zu etablieren: die beiden Freunde und Beate (Jule Fierl), die ältere Männer, die sie anstarren, schon mal verprügelt.
"Führer Ex" ist ein Schauspielerfilm: Blümel und Hildebrand zeigen in ihren Figuren eine Mischung aus Trotz, Naivität, Revolte. Mit Blicken, in denen Schüchternheit jederzeit in Aufsässigkeit umschlagen kann – und vice versa. Das DDR-Milieu ist (anders als etwa in Sonnenallee) keine Nostalgiekulisse, sondern genau inszenierte Skizze. Es ist eng und spießig, samstags wird der Trabi gewaschen. Tommy will "nach Australien". Eigentlich hat er nur keine Lust mehr, immer in die gleiche Kneipe zu gehen. Doch in der DDR sind jugendlicher Übermut und Abenteuerlust eine Staatsaffäre. Tommy und Heiko fliehen, werden erwischt und eingesperrt.
Der Knast ist das Zentrum des Films. Deutsch geht es dort zu: Befehle donnern, Wärter brüllen, Türen knallen. Tommy schließt sich den Neonazis an – einer Gruppe anzugehören schützt. Heiko, der Freundliche, Sanfte, findet Nazis widerlich. Das rächt sich. Er wird von einem anderen Gefangenen unter der Dusche vergewaltigt und verprügelt. Das ändert alles.
Die Figur Heiko ist nach der Biographie von Ingo Hasselbach modelliert, der am Drehbuch mitarbeitete und wohl für den milieugenauen Ton gesorgt hat. Hasselbach revoltierte in der DDR, war im Knast, floh 1989; Anfang der neunziger Jahre wurde er zum Neonaziführer in Ostberlin, dann zum Aussteiger.
"Führer Ex" zeigt, wie der DDR-Knast Nazis produzierte. Dort wird man zum Rechten gemacht. Das Nazimilieu ist gewissermaßen eine Antwort auf den DDR-Knast und gleichzeitig dessen Verlängerung: hierarchisch und ordnungsfixiert. Der Trevira-Sozialismus verweigerte den Bürgern das elementare Recht zu gehen. Zur raison d être der DDR wurde (und zwar immer mehr, weil die anderen Begründungen schwanden) ihr antifaschistischer Ursprung. So gesehen war der Neonazismus in der DDR wohl ein unvermeidliches Phänomen.
Das ist eine These des Films – aber Thesen sind in diesem Film nicht so wichtig. Man sieht vielmehr, wie sich im Knast Heikos Gesicht verändert, wie die allgegenwärtige Gewalt ihn einschüchtert, dann versteinert, verhärtet. Das passiert in Knästen, überall, jeden Tag.
Der letzte Part ist der, faktisch gesehen, Spektakulärste, im Film der Schwächste: Heiko steigt zum Neonazi-Führer in der Ostberliner Weitlingstraße auf. Diese Verwandlung spart der Film in einem Zeitsprung aus. Abrupt ist Heiko der harte Nazi, der Hetzreden hält und Tote einkalkuliert, Tommy kifft lieber. Im Kern ist "Führer Ex" kein Film, der Politik bebildert, sondern ein Buddy Movie: Zwei ritten zusammen. Nur diese letzte Metamorphose glaubt man nicht so recht. Winfried Bonengel wurde vor knapp zehn Jahren mit dem Dokumentarfilm Beruf Neonazi berühmt, einem Porträt des Yuppie-Nazis Ewald Althans. Zum Skandal wurde der Film, weil er keinen Off-Kommentar hatte und die Bilder sprechen ließ. Dieser Verzicht auf Distanzierung sorgte für Aufruhr – als wären die Worte Polizisten und die Bilder Gangster, die in Schach gehalten werden müssen.
"Führer Ex" folgt einem ähnlichen Prinzip wie Beruf Neonazi. Der Spielfilm will zeigen, anschaulich machen, weniger kommentieren. Auch die Kamera ist, von ein paar angeberischen Fahrten abgesehen, konzentriert. Nur die Musik ist ein groteskes Missverständnis. Ihr Credo ist einfach: viele Geigen. Und, als Variation: mehr Geigen. Wer im Kino mal kurz die Augen schließt, mag erwarten, Doris Day in einer belanglosen Hollywood-Komödie aus den Fünfzigern zu sehen. Selten ist eine Geschichte, in der es um Härte, Gewalt und Rebellion geht, von der Tonspur so ruiniert worden.
Das ist schade. Ansonsten ist "Führer Ex" ein sympathischer Film, der nichts beweisen will, keine Läuterung feiert und ohne Antifa-Moral von der Stange auskommt. Er will auch nicht auf das Typische hinaus, er lässt dem Konkreten genug Raum. Gerade deshalb veranschaulicht er die Logik der Gewalt, den Zwang, anderen anzutun, was selbst erlitten wurde.