Lorenz im Land der Lügner
Lorenz im Land der Lügner
Horst Peter Koll, film-dienst, Nr.7, 01.04.1997
Eines Tages landet Lorenz, ein unternehmungslustiger, unbekümmerter elfjähriger Junge, mit seinem Floß auf einer sehr seltsamen Insel, auf der alles genau entgegengesetzt zu dem ist, wie man es kennt: die Hunde miauen, die Pferde laufen rückwärts, die Menschen sagen zu Birnen Äpfel, bezahlen mit Falschgeld und wünschen sich beim Verabschieden, sich niemals mehr sehen zu müssen. Lorenz nimmt das zunächst alles auf die leichte Schulter und amüsiert sich über diese verdrehte Welt, bald aber schon ist ihm ein Spitzel auf den Fersen, der das aufmüpfige Verhalten des Jungen, der immer nur die Wahrheit sagt, dem König des Landes meldet. Der lümmelt sich lustlos im Schloß, ist ganz den Intrigen und Verordnungen seines goldgierigen Ministers ausgeliefert und bildet mit diesem sowie einem ununterbrochen essenden Polizeihauptmann ein eindeutig verbrecherisches Trio, das sich den Königsthron nur erschlichen hat. Wie das geschah und wo der richtige König steckt, das entdeckt Lorenz erst allmählich und unter nicht ganz ungefährlichen Umständen.
Glücklicherweise stehen ihm einige treue Verbündete zur Seite: da ist Tante Martha, die mit vielen bellenden Katzen in einem abgelegenen Waldhaus wohnt und sich als einzige der von oben verordneten Sprachwillkür widersetzt; dann lernt Lorenz Tanta Marthas Nichte Elise kennen, zu der er sich trotz mancher Streitereien schon bald hingezogen fühlt, und schließlich ist da der Kater Hinze, der eigentlich gar nicht "wirklich" existiert, vielmehr eine lebendig gewordene Kreidezeichnung ist, aber auch als Zeichentrickgestalt ein sehr vitales Leben führt.
Im Grunde sind alle Zutaten für einen unterhaltsamen Kinderfilm vorhanden: Rätsel und Abenteuer in einer geheimnisvollen, spätmittelalterlich angehauchten Märchenwelt der Burgen, geheimen Tunnel und Verliese, der bösen Piraten und guten Freunde, wobei auch für Fantasie, Humor und witzige Turbulenzen genügend Raum vorhanden ist. Doch das Ganze bleibt leider ein nur in der Theorie reizvoller Zutatenkatalog und entwickelt sich zu keiner Geschichte, bei der der Funke überspringt. Vor allem mag das an der arg holzschnitthaft angelegten Charakterisierung der Personen liegen, zu denen man nie Nähe entwickelt und für die man nie wirklich Sympathie empfindet. Das beginnt bereits bei Lorenz, der "irgendwie" und unerklärt auf einem Floß übers weite Meer daherkommt und "irgendwie" so kräftig pusten kann, daß er ganze Mauern und Häuser umwerfen kann. Abgesehen von der leicht ablesbaren Erkenntnis, daß er ein recht selbstbewußter und unabhängiger Bursche ist, bleibt nur diese recht plakative Umschreibung seines Wesens, die unter solchen Vorgaben nur dann Leben entwickeln würde, wenn sie mit viel Charme und Spiellaune belebt würde.
Aber wie bei allen anderen Personen auch bleibt da nur ein arg hölzern agierendes, von der Regie unerklärlich leidenschaftslos geführtes Abziehbild, das eher als Conferencier denn als Identifikationsfigur von einer Szene nur nächsten gereicht wird, ohne daß eine innere Spannung entstünde. Fast meint man, die Hersteller hätten gespürt, daß ihr Fantasy-Märchen ohne Lebendigkeit bleibt und deshalb nachträglich die Idee mit der in den Realfilm einkopierten Zeichentrickkatze ersonnen. Die verfügt zwar über die recht witzige Stimme von Heinz Hönig, ist ansonsten aber nur der Pausenclown für kleine Gags, wenn die Löcher in der Handlung allzu deutlich werden. Vertraute Erzählmuster und bekannte Versatzstücke sind gewiß wichtige Orientierungspunkte für Kinder, um sich in einer Geschichte zurechtfinden zu können; wenn die Fabel aber nur aus lieblos aneinandergereihten Elementen besteht und weder Subtilität, Charme noch innere Spannung besitzt, dann ist das ein Affront gegen die Fantasie der Kinder, die in ihrem Bedürfnis nach funktionierenden Geschichten düpiert werden.