Christian Becker

Director, Screenplay, Producer, Unit production manager, Location manager
Krefeld

"Die Welt schaut auf deutsche Filme"

Viele Deiner Filme beschäftigen sich mit Heranwachsenden. Was fasziniert dich an ihrer Welt?

D.G.: Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit 17 war, und es gibt ja auch im Film eine Figur, die Dennis heißt – da liegt natürlich viel von mir mit drin! Aus dieser Zeit habe ich sehr viel mitgenommen und ich habe sie als sehr prägend empfunden. Sie war für mich so eine Art Wegweiser. Ich habe gelernt, gegen Widerstände den Mund aufzumachen, und vor allem, meine eigene Meinung zu vertreten.

Wie habt ihr auf dieser Basis eure jugendlichen Figuren entwickelt?

D.G.: Während der Drehbuchentwicklung sind wir in die Schulen gegangen. Wir haben uns bei ehemaligen Mitschülern, die jetzt selbst Lehrer sind, in den Unterricht gesetzt und einfach zugehört. Und dann findet man eben diese Typen…Es gibt keine Figur im Film, für die kein reales Vorbild existiert, und auch die Elternhäuser sind der Realität nachempfunden: Das liberale Elternhaus von Karo zum Beispiel ist inspiriert von meinen früheren Nachbarn. Beide Kinder waren auf der Waldorfschule und ihre Eltern waren "Müslis mit Geld", wie man bei uns in Hannover sagt: liberal und links eingestellt, aber eben auch mit Kohle. Das haben wir alles in diesen Film reingenommen, wobei die guten Dialoge Peter Thorwarth zu verdanken sind. Er ist dafür einer der besten in Deutschland.

Bei den Darstellern handelt es sich zum größten Teil nicht um Laien. Wie habt Ihr denn die Schauspieler gefunden?

Christian Becker: Wir hatten eine Casting-Agentin, die in ganz Deutschland gecastet hat. Mich hat sehr beeindruckt, dass in dem Moment, in dem Dennis die Figuren definiert hatte und alle Schauspieler am Drehort versammelt waren, sich diese wirklich so verhalten haben wie im Film. All diese Jungs hingen auf einmal genau in diesen Gruppen zusammen, und sie fingen auch an, sich so zu benehmen wie ihre Filmfiguren. Da gab es die Kiffer auf der einen und die eher anarchischen Leute auf der anderen Seite – die Eigenschaften der Filmfiguren haben sich im Privaten widergespiegelt.

D.G.: Der Castingprozess hat sehr lang gedauert, da wir für "Die Welle" viele Darsteller benötigt haben. Insgesamt haben wir über ein Jahr lang gecastet, wobei die Figur des "Bomber" erst drei Tage vor Drehbeginn besetzt wurde. Das Schwierige war natürlich, dass wir ganz unterschiedliche Leute gefunden haben, von denen einige erst 17, andere schon 23 Jahre alt waren. Außerdem kommen die Schauspieler aus ganz Deutschland. Die Kunst bestand darin, trotz all dieser Unterschiede eine glaubwürdige Schulklasse zu schaffen.

Was lässt sich von der Zusammenarbeit zwischen Dennis und Peter bei der Drehbuchentwicklung berichten?

C.B.: Interessanterweise hatte es an der Filmhochschule immer so eine Art Konkurrenzsituation gegeben. Mit "Die Welle" haben wir das gebrochen. In dem Film vereinen sich zwei komplett verschiedene Genres: Dennis war immer der Anspruchsvolle gewesen, der Filme wie "Das Phantom" und "Napola" drehte, Peter dagegen mit Filmen wie "Bang Boom Bang" eher der "Hau-Drauf-Typ". Diese Kombination hat "Die Welle" erst zu dem gemacht, was sie ist. Hätte Peter das Drehbuch allein geschrieben, wäre der Film wahrscheinlich viel zu abgefahren gewesen, und bei Dennis wäre er wohl viel härter ausgefallen. Deshalb bin ich sehr froh, dass die beiden so eng zusammengearbeitet haben.

Beim tatsächlich stattgefunden Experiment hieß der Lehrer Ron Jones. Wie hat er das Drehbuch und den Film aufgenommen?

C.B.: Ron Jones spielt im Film sogar mit! Er ist in der Tagging-Sequenz zu sehen, in der ein Restaurant verwüstet wird. Da gibt es einen glatzköpfigen Mann, der ein bisschen unsicher nach links und rechts blickt – das ist Jones. Er hat immer gesagt, dass er das Buch von Morton Rhue gehasst hat, aber bei Dennis" und Peters Drehbuch war er ganz sprachlos. Laut Jones haben sie, von ihrem heutigen Wissen ausgehend, viel dazuerfunden, über das er selbst nie geredet hat. Für ihn ist dieser Film näher an dem dran, was damals passiert ist, als alles, was bislang dazu geschrieben wurde.

D.G.: Ron Jones ist sehr froh, dass gerade wir den Stoff verfilmt haben, denn er denkt, dass die Deutschen die Vergangenheit äußerst kritisch reflektieren können. Er hat gesagt, so ein Film hätte in Amerika niemals so werden können, wie er jetzt ist.

Ihr habt die Geschichte vom Ort her unspezifisch gehalten. Wolltet ihr damit das Parabelhafte unterstützen?

D.G.: Ganz genau. Viele Leute haben uns vorgeschlagen, die Geschichte in Ostdeutschland oder in irgendeinem Problembezirk in der Lausitz anzusiedeln, aber das wollten wir auf gar keinen Fall. Ich möchte nicht, dass Leute in Stuttgart oder in Reutlingen im Kino sitzen und nach dem Film sagen: "Ja gut, aber das könnte uns hier ja nun gar nicht passieren, das ist ja ganz klar ein ostdeutsches Problem!" Das Originalexperiment fand 1967 schließlich auch in Palo Alto statt, einer damals schon sehr wohlhabenden Gemeinde in Kalifornien. Genau das sagt auch Ron Jones: Es funktioniert eigentlich überall! Deshalb wollten wir einen Film machen, bei dem man sich nach dem Kinobesuch fragt, was die Thematik mit dem eigenen Leben zu tun hat.

Noch einmal zu Ron Jones: Bei ihm endete das Experiment unspektakulärer als bei euch. Er brach es einfach ab, weil er Skrupel hatte und auch, weil seine Frau dagegen war. Ihr habt ein dramatisches Ende gewählt – warum?

D.G.: Es war uns wichtig, dass der Zuschauer das System des Faschismus wirklich spüren kann. Eine klare Message am Ende war uns wichtig – wer mit Faschismus spielt, kann so enden. Uns als Filmemachern war ganz klar, dass wir eine deutliche Haltung beziehen müssen, denn wenn man so einen Film in Deutschland macht, ist es wichtig, ein dramatisches, eindeutiges Ende zu haben.

C.B.: Ich muss zugeben, dass wir den Schluss doppelt gedreht haben. Wir hatten also auch ein weniger dramatisches Ende parat – für alle Fälle. Allerdings wollten wir diese Version nie wirklich nutzen. Man wird es wohl irgendwann auf der DVD finden können.

Welche Aussage transportiert der Film? Was ist das Ziel von "Die Welle"?

D.G.: Der Anspruch war definitiv nicht, das Originalexperiment Schritt für Schritt nachzuerzählen. Dann hätte der Film 1967 mit langhaarigen Schülern in Palo Alto spielen müssen. Wir wollten genau ausprobieren, wie so ein Versuch mit einer charismatischen Lehrerfigur und einer Klasse, die sich eigentlich vor solchen Verlockungen gefeit fühlt, 2008 wohl ablaufen könnte.
Wir wollten betonen, dass man versuchen muss, zu seiner eigenen Meinung zu stehen und gruppendynamische Prozesse zu verstehen. Dass man versuchen muss, aufzustehen und sich gegen die Gruppe zu stellen, wenn man anderer Meinung ist. Man sollte Demokratie nicht nur intellektuell einfordern, sondern im täglichen Leben umsetzen, was natürlich schwer ist. Jones hat uns zum Beispiel darauf hingewiesen, dass das deutsche Schulsystem teilweise sehr wenig mit Demokratie zu tun hat. Im Alltag gibt es viel zu wenig demokratische Prozesse, die erlernt werden können.

Vielleicht noch ein Wort zur Filmhochschule: Ihr habt euch alle dort kennen gelernt. Welche Bedeutung hat für euch die Zeit an der Filmhochschule in München?

C.B.: Ich denke, es ist egal, an welcher Hochschule wir gewesen sind, denn die sind heutzutage alle sehr gut, ob in München, Potsdam oder Ludwigsburg. Der Vorteil war, dass wir uns alle kennen gelernt haben, dass wir Kontakte knüpfen und uns in Kurzfilmen ausprobieren konnten, ohne ein finanzielles Risiko einzugehen. So haben wir mit verschiedenen Genres experimentiert. Man kann an der Filmhochschule sehr gut im Kleinen für sich testen, wohin man später mal will. Für mich als Produktionsstudent war es super, dass ich sehr viele junge Regisseure kennen gelernt habe, mit ihnen arbeiten konnte und sie weitergetrieben habe.

D.G.: Ich war erst 21, als ich auf die Filmhochschule gekommen bin, und hatte von Film keine Ahnung. Irgendwann jedoch habe ich festgestellt, welche Filme ich machen will, und dass mich weniger ein Wenders als vielmehr ein Sidney Pollack geprägt hat. Ich will Filme machen, die einen interessanten Inhalt haben, aber auch so gut erzählt sind, dass man sie sich anschauen will. Daher bin ich ein sehr großer Fan des amerikanischen Kinos der 1970er Jahre, ob das jetzt "Apocalypse Now!" oder "Der Pate" ist. Diese Erzählkultur haben wir in Deutschland auch, und jetzt kommt wieder eine neue Generation von den Filmhochschulen, die eben versucht, dieses Erzählkino aus Deutschland mit politischen Inhalten zu beleben. Das ist momentan eine extrem spannende Zeit. Die Welt schaut auf deutsche Filme. "Die Welle" wird in über 40 Ländern auf der Welt im Kino starten, weil die Leute über Deutschland hinaus diesen Stoff interessant finden.

 

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