Der kleine Vampir
Der kleine Vampir
Rolf-Rüdiger Hamacher, film-dienst, Nr.20, 26.09.2000
Schon die Gebrüder Grimm schickten ihre Märchenfiguren aus, um ihnen und den (kleinen) Lesern das Fürchten zu lehren. Dass man in heutigen „Gute-Nacht-Geschichten“ natürlich auch die selbst Kindern schon geläufigen Horror-Mythen (zumindest vom „Hörensagen“) aus (Erwachsenen-)Literatur und einschlägigen Filmen benutzen kann, um sie mit wohligen Schauern altersgerecht zu unterhalten, davon zeugen die mittlerweile in 20 Sprachen übersetzten und über 12 Mio. mal verkauften Bücher von Angela Sommer-Bodenburg, die 1986 und 1992 auch als Fernsehserie adaptiert wurden. Eigentlich ist es ein Wunder, dass sich das Kino erst so spät des Kinderbuch-Bestsellers angenommen hat, wo doch gerade Hollywood mit familiengerechtem Grusel à la „Adams Family“ kassenträchtige Erfahrungen gesammelt hat. Vielleicht scheuten amerikanische Produzenten vor dem scheinbaren „pädagogischen Übergewicht“ der Romane zurück, in denen solidarische Freundschaft und Toleranz gegenüber Andersartigen gleichberechtigt neben humorvollen Abenteuern und schauriger Spannung stehen. Nun hat ein deutscher Produzent für die Regie einen Landsmann mit Hollywood-Erfahrung, einschlägig vorbelastete amerikanische Drehbuchschreiber und „special effect“-Koryphäen sowie eine britisch-amerikanische Darstellerriege aus der zweiten Reihe verpflichtet, um dem eigentlich universellen Stoff seinen „intellektuellen Schrecken“ zu nehmen und ihn somit weltweit vermarkten zu können.
„Beiß nicht den Babysitter!“ So neckt Bob seinen neunjährigen Sohn Tony, der die Albträume seines Kindes genauso wenig ernst nimmt wie die Klassenkameraden die Vampir-Besessenheit ihres neuen Mitschülers. Denn Tony, der mit seinen Eltern Bob und Helga aus einer amerikanischen Großstadt in ein kleines schottisches Dorf gezogen ist, weil sein Vater hier ein Golfzentrum errichten soll, verschlingt jedes nur greifbare Vampir-Buch, um hinter das Rätsel seiner Schlaf raubenden Träume zu kommen. Als eines Nachts eine Fledermaus in sein Zimmer fliegt und sich in den gleichaltrigen Vampir Rüdiger verwandelt, kommt er dem Geheimnis langsam auf die Spur: Nur alle 300 Jahre, wenn der Komet Attamon am Mond vorbeizieht und die Vampire just in diesem Moment den Himmelskörpern ein bestimmtes Amulett entgegenstrecken, können sie wieder Menschen und sterblich werden. Ausgerechnet dieses Amulett, von dem Rüdigers Familie nur eine Hälfte besitzt, taucht immer wieder in Tonys Träumen auf. Rüdigers Eltern Ludwig und Hildegard missbilligen anfangs die Freundschaft ihres „untoten“ Sohns zu einem Sterblichen, nehmen Tony aber schließlich in ihren Kreis auf, als dieser sie vor den Nachstellungen des Vampirjägers Geiermeier schützt. Als Tony dann eine Verbindung zwischen dem Amulett und dem Familienwappen von Vaters Arbeitgeber McAshton entdeckt, naht das Happy End. Dabei mischen auch Bob und Helga kräftig mit, die ganz verzaubert von Tonys neuen Freunden sind.
Die jungen und alten Fans der Romanvorlage werden zwar einige Motive aus den „Kleine Vampir“-Geschichten wiederfinden, doch die Verfilmung trägt eindeutig die Handschrift der beiden Drehbuchautoren. Auf das Konto des mit „Beetlejuice“ (fd 27 141) und „Addams Family“ (fd 29 355) bekannt gewordenen Larry Wilson gehen wohl die skurrile Zeichnung der Vampirfamilie und die respektlosen Dialoge, während Karey Kirkpatrick („James und der Riesenpfirsich“, fd 32 025) offensichtlich die fantastischen und poetischen Elemente zu verantworten hat - etwa Tonys und Rüdigers „Ritt“ auf einem Zeppelin und die sich anbahnende „Liebesgeschichte“ zwischen dem verdatterten Tony und Rüdigers „frühreifer“ Schwester Anna. Beide plündern die Topoi der Vampir-Filme vom blutsaugenden Biss bis zum Holzpflock, der ins Herz getrieben werden muss. Aber während sie ihre „Draculas“ in Ruhe beißen lassen, die dann vampirselig durch die Lüfte fliegen, und Uli Edels unaufgeregte Inszenierung alles tut, um den Schrecken in kindgerechten Grenzen zu halten, kann man durchaus seinen ungetrübten (Familien-)Spaß an den schaurig-schönen Abenteuern haben. Nur wenn der Bösewicht mit seinem an „Mad Max“ (fd 22 329) erinnernden Vampir-Vernichtungsmobil auftaucht und am Ende in schlechter Horrorfilm-Manier noch einmal von den Toten wieder auferstehen muss, vergisst der Film für einige Momente seine Zielgruppe. Sein größtes Plus ist zugleich sein größtes Manko: das geradezu phänomenale komödiantische Talent des Tony-Darstellers Jonathan Lipnicki, der schon in „Jerry Maguire - Spiel des Lebens“ (fd 32 405) und „Stuart Little“ (fd 34 208) seine erwachsenen Kollegen an die Wand spielte, lässt auch hier dem eher blass wirkenden Co-Star Rollo Weeks kaum Raum zur Entfaltung. Dabei ist es eigentlich „Der kleine Vampir“, der einem so sehr ans Herz gewachsen ist, dass ihm auch im Kino die Hauptrolle zugestanden hätte.