Am gestrigen Mittwoch, den 22. November 2023, wurde der 36. Internationale Filmhistorische Kongress von CineGraph und Bundesarchiv im Kommunalen Kino Metropolis eröffnet. Im Rahmen der Kongress-Eröffnung fand traditionell die Verleihung der Willy Haas-Preise statt, mit denen bedeutende internationale Publikationen in den Kategorien Buch und DVD-/Blu-ray-Edition zum deutschsprachigen Film bzw. zum Film in Deutschland ausgezeichnet werden.
2023 wurde der, nach dem deutsch-tschechischen Literaten, Drehbuchautor und Filmkritiker Willy Haas benannte Preis zum zwanzigsten Mal vergeben.
In diesem Jahr bestand die unabhängige Jury aus Christiane Habich (Kronberg), Kay Hoffmann (Stuttgart), Anne Jespersen (Kopenhagen), Uli Jung (Trier) und Günter Krenn (Wien).
Die Gewinnerinnen und Gewinner erhielten jeweils eine Urkunde sowie eine Original-Grafik des Künstlers und Filmmachers Franz Winzentsen.
Willy Haas-Preisträger Kategorie Buch:
"Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu"
von Jürgen Müller, Frank Schmidt, Kyllikki Zacharias (Hg.).
Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Sandstein 2022.
Bram Stoker gilt als der verschwiegene Name bei "Nosferatu", doch das stimmt nur zum Teil. Im Grunde stammt das Konterfei des ersten Film-Vampirs nicht von F. W. Murnau, sondern von Albin Grau. Der Grafiker, Filmarchitekt und Autor studierte an der Kunstakademie Dresden, war Mitglied der okkulten Gemeinschaft "Fraternitas Saturni" und entwarf 1922 neben Dekoration, Kostümen und Werbegrafiken des Films auch die Maske eines der bekanntesten Kinomonster aller Zeiten, das bis heute auch von Leuten identifiziert werden kann, die "Nosferatu" nie gesehen haben. Verdeutlicht wird dieser Umstand neben zahlreichen anderen Neuentdeckungen und -deutungen durch den prachtvoll gestalteten Kunstband "Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu" aus dem Sandstein Verlag. Man stellt darin den Filmklassiker in den Kontext kunsthistorischer Vorbilder, die von den Radierungen Goyas bis hin zur fantastischen Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts reichen. Darüber hinaus wirft das Buch einen Blick auf die Auswirkungen Nosferatus im Bereich der zeitgenössischen Kunst und Alltagskultur.
Willy Haas-Preisträger Kategorie DVD / Blu-ray:
"The Whistle at Eaton Falls"
US 1951. Robert Siodmak. Restaurierte Fassung, Bonusmaterial. Flicker Alley 2022.
"The Whistle at Eaton Falls" ist ein weniger bekannter Film von Robert Siodmak und sein letzter in den USA realisierter. Nun ist er endlich wieder zugänglich. Der aus dem NS-Deutschland geflohene Siodmak galt als Meister des Film Noir. Das bestätigt er mit diesem beeindruckenden Film aus dem Arbeitermilieu – ein in Hollywood seltenes Sujet. Es geht um einen Gewerkschafter (Lloyd Bridges), der zum Firmenchef ernannt wird. Er ist gezwungen, unangenehme Entscheidungen zu fällen. Der ganze Ort hängt an der Existenz dieser Plastikfabrik; viele der Arbeiterinnen und Arbeiter spielten im Film mit. Eine Liebesgeschichte darf in diesem Sozialdrama nicht fehlen. Siodmak und sein Kameramann Joseph C. Brun spielen meisterlich mit Licht und Schatten, der die Dynamik der Geschichte noch verstärkt. Siodmak war enttäuscht von den Studio-Bedingungen, die immer wieder Änderungen wünschten. Der Produzent de Rochemont schrieb: "Unser Ziel ist es, dokumentarisch zu dramatisieren, dass Arbeit ein unverzichtbarer Bestandteil unseres kapitalistischen Systems ist." ("It is our purpose… to dramatize in documentary fashion that labor is an indispenable ingredient in our captalistic system"). Der Einleger informiert über Hintergründe der Produktion und Details der Digitalisierung.
Lobende Erwähnung:
"To Infinity and Beyond. Die künstlerische Rezeption von Stanley Kubricks '2001: Odyssee im Weltraum"
von Nils Daniel Peiler. Würzburg: Königshausen & Neumann 2022
"To Infinity and Beyond" klingt visionärer als "There and back again" und wird Disneys Spielzeugastronauten Buzz Lightyear aus Toy Story zugeschrieben. Dass damit eine weitere Referenz in Richtung von Stanley Kubricks "2001: A Space Odyssey" geleistet wurde, versteht man spätestens, wenn man Nils Daniel Peilers monströses Werk darüber in Händen hält. Man mag die erste Überlegung, ob es wirklich nötig war, ein 800 Seiten-Buch zu dem Film zu schreiben, ruhig zulassen, Peilers interdisziplinärer Ansatz fasziniert wegen der unbezähmbaren Sammlerwut und der barocken Sinnenfreude, mit der in seinem medienwissenschaftlichen Text alle relevanten Zitate verarbeitet werden: Filme und TV-Serien, Videoclips, Werbung, Malerei, Architektur, Comics … Der Bildband, immerhin auch 344 Seiten stark, mit seiner Fotoauswahl beeindruckt ebenfalls. Und sollte die Anspielung auf Kubrick aus dem heurigen Barbie-Movie dem Autor bis dato entgangen sein, darf man auf eine überarbeitete Fassung hoffen…
Quelle: www.cinefest.de