Internationale Film-Verständigung
Erich Pommer, Das Tage-Buch, Nr. 27/28, 15.7.1922
Wenn einer eine Reise tut, dann glauben die anderen immer, er könne was erzählen. Nun gar eine Reise nach London und Paris, eine Reise, die unterm Jupiterlicht des Films geschieht, das verpflichtet. Aber auch eine innere Stimme mahnt. Es ist nötig, daß wir alle Fäden, die uns aus der Kriegsisolierung führen, fester knüpfen. Nun, der Film ist die wirksamste internationale Verständigungsmöglichkeit. Der Zufall wollte es, daß unsere Reise - ich war von meinem Mitarbeiter Fritz Lang begleitet - zusammenfiel mit den Uraufführungen einiger deutscher Filme in Paris: Der Erfolg des "Caligari"-Films war noch in aller Munde, ihm folgte Murnaus "Brennender Acker", dann Lupu Picks "Scherben"; und während unseres Aufenthaltes entzündeten sich im Madelaine-Cinéma "Les trois lumières", wie man in Frankreich Fritz Langs schönes Werk "Der müde Tod" nennt. Aus den vielen ausführlichen Besprechungen dieses bewußt deutschen Filmes, Besprechungen, die ein überzeugender Beweis der wiedererwachten künstlerischen Objektivität der Französischen Presse sind, will ich hier nur einen Satz herausgreifen: "...une telle oeuvre où nous retrouvons jailissant comme d"un sépulcre la veritable âme allemande." Das ist ein Satz, den man nicht vergißt. Wer, wie ich, den Film für das wirksamste internationale Verständigungsmittel hält, wird sich ihn merken.
Dabei soll nicht verschwiegen bleiben, daß im Ausland - in England durchaus nicht seltener als in Frankreich - ein starker Widerstand gegen das Deutsche noch immer sehr deutlich fühlbar ist. Noch ist der Unsinn der Kriegspropaganda nicht ganz verschwitzt. Der gebildete Ausländer besinnt sich erst allmählich wieder auf das Deutschland Fausts, der Meistersinger, der Eroica, Albrecht Dürers. Der Film ist ein sichtbares, auf große Massen wirkendes Mittel zur Entwolkung der Geister, zur Auferstehung einer tot geglaubten Welt. Mit hoher Freude und Genugtuung durften wir feststellen, daß die "wie aus einem Grabe aufersteigende wahre deutsche Seele" dem Ausland wieder liebenswert erscheint. Symptome des Besinnungsprozesses: Eine zwanglose Besprechung französischer, englischer, italienischer und deutscher Filmleute. Das Thema: Die gemeinschaftliche Sorge aller derjenigen, die sich trotz der heute noch durch den Einfluß des Krieges vergifteten politischen Atmosphäre bemühen, vernünftig und klar in die Zukunft zu sehen; schnell wieder gute und normale internationale Beziehungen herbeizuführen. Anschließend eine Konferenz mit Vertretern der französischen Tages- und Fachpresse, in der das gleiche Thema zur Diskussion gestellt wird. Das Gespräch dreht sich bald nur um die deutsch-französischen Film-Beziehungen. Ein Trommelfeuer von Fragen und Vorwürfen prasselt auf mich nieder. Man wirft mir das deutsche Einfuhrverbot, die Kontingentierung der Filmeinfuhr vor. Man erblickt hierin eine besondere Spitze gegen die französiche Filmindustrie. Man beschwert sich, daß, während der deutsche Film in Frankreich bereits eine gastliche Aufnahme gefunden hat, dem Berliner Publikum noch kein französicher Film gezeigt wurde, usw. Nur schwer kann ich den Franzosen klarmachen, daß alle diese Maßnahmen schließlich doch nur Folgen des Versailler Friedens sind, daß Einfuhrbeschränkungen notwendig waren, um die heimische Industrie in der ersten Übergangszeit, die dem Krieg folgte, zu schützen. Andererseits aber stellte ich fest, daß ich, und mit mir die meisten führenden Persönlichkeiten der deutschen Filmindustrie, auf dem Standpunkt ständen, daß in einer möglichst freiheitlichen Ausgestaltung der Einfuhrfrage der beste Weg zur Rückkehr zu normalen, internationalen geschäftlichen Beziehungen läge. In diesem Sinne werden die zuständigen Reichsbehörden dauernd beeinflußt. Ich hielte es jedoch für meine Pflicht, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß gewisse Vorbehalte, um eine Überschwemmung des einheimischen Marktes mit vielen minderwärtigen ausländischen Filme zu verhindern, auch in Zukunft gemacht werden müßten. Die Franzosen begreifen das um so mehr, als der französische Filmmarkt noch heute an den Folgen einer Invasion der amerikanischen Massenproduktion leidet. Schließlich stellten wir fest, daß nur auf dem Wege der Kompensation ein allseitig befriedigender Ausweg gefunden werden kann.
Diese Konferenz ist in der gesamten französischen Tages- und Fachpresse eingehend kommentiert worden, und zwar - in einer durchaus loyalen und unparteiischen Art. Auch Blätter, die sich im allgemeinen heute noch nicht wieder durch Deutschlandfreundlichkeit auszeichnen, haben die Frage sachlich behandelt. Der erste Schritt ist getan. Ohne die reifenden Früchte vorzeitig belasten zu wollen, sei doch heute schon gesagt, daß zwischen berufenen Vertretern der kinematografischen Industrie eine künstlerische und wirtschaftliche Allianz angebahnt ist. Das bedeutet einen großen Schritt zur Annäherung. Von wirtschaftlichen Dingen, die sehr erheblich ins Gewicht fallen dürften, sei hier nicht weiter die Rede. Auch nicht weiter davon, daß in England sich die Journalisten zwar ebenfalls recht gern und ausführlich mit einem deutschen Filmmann unterhalten, aber vorläufig noch selten den Mut aufbringen, ihre bei solcher Gelegenheit geäußerten verständnisvollen Ansichten auch öffentlich zu vertreten. Erwarten wir also inzwischen von dem geplanten friedlichen Film-Wettstreit der Nationen eine außerordentliche Hebung der Filmqualität. Wird dabei das so oft mißbrauchte Wort von der Internationalität des Films überall richtig verstanden, so wird sich jedes Land bemühen, das eigene Antlitz, die eigene Seele so klar, so schön, so interessant als möglich zu zeigen und seine besten Kräfte, seine fähigsten Intelligenzen, seine stärksten Persönlichkeiten in den Dienst der Sache zu stellen. Aus dem Prinzip des "do ut des" wird der Austausch künstlerischer und wirtschaftlicher Werte erfolgen und nicht zum geringsten Teil beitragen zur großen, der ganzen Welt so brennend notwendigen Verständigung. Ein weiterer Gewinn: Paris und London gaben uns die Möglichkeit, uns mit den neuesten Erzeugnissen der ausländischen Filmproduktion bekannt zu machen und aus dem Geschauten sehr nützliche Lehren zu ziehen. Ganz Hervorragendes wird da geleistet im Gebiet der Technik, der Beleuchtung, der Photographie. Vorläufig triumphiert Griffith noch immer über seine Entente-Kollegen. Mit Recht. Seine Riesenausmaße in Bezug auf Menschenmaterial und Bauten sind nicht nur Angelegenheiten eines beinahe unbeschränkten Geldbeutels, sie sind - es muß festgestellt werden - von einem großen Temperament gewollt und - was das wichtigste ist - gekonnt. Mit diesem Ausmaße können wir nicht mit. Ebensowenig wie wir den Amerikanern den Niagara-Fall nachmachen können. Dieses auch nur anzustreben, wäre hoffnungslos. Die reine Bewunderung, die man in Paris und auch in London für das deutsche Manuskript, die deutsche Regie, das deutsche Schauspieler- und Künstlermaterial hegt, gab uns den Beweis, daß wir, wenn auch auf anderen Gebieten, ebenso Unnachahmliches, Einzigartiges, ja Unübertreffliches haben wie Amerika in seinem Niagara-Fall. Ein Volk muß nur wissen, wo sein Unnachahmliches, sein Niagara, liegt.
Nachdruck in: Werkstatt Film: Selbstverständnis und Visionen von Filmleuten der zwanziger Jahre, hg. von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, München: edition text + kritik GmbH 1998